30x KLANGSPUREN SCHWAZ

30 Jahre Klangspuren Schwaz: Der Leitfaden des diesjährigen Festival-Jubiläums (07.–24.09.2023) lautet Vorausschau und Rückblick – Preview und Review. Im Fokus steht die kritische Befragung der Vergangenheit und die Auseinandersetzung mit einer Gegenwart, die von einem tiefgreifenden und krisenhaften Wandel geprägt ist. Das Festival reagiert auf musikalisch-ästhetischer Ebene, in seinen Arbeitsformen und Präsentationsformaten, mit Offenheit, Diversität, Neugierde und einer auf Kooperation ausgerichteten Haltung. Seit seiner Gründung vor 30 Jahren versteht sich das Tiroler Festival für zeitgenössische Musik als Ort des Austauschs und setzt auf Aktualität, einen Anspruch, den auch die Festivalausgabe 2023 mit zahlreichen Uraufführungen erfüllt.

Das Eröffnungswochenende: Erinnern, Überschreiben, Verbinden

Klangspuren Schwaz steht für eine Musik, die sich spielerisch zwischen den ernsten und populären Genres, zwischen alter und neuer Musik und zwischen den Generationen bewegt. Von Konzert zu Konzert konkretisiert sich der Dialog zwischen Gegenwart und Vergangenheit als ein Sich-Erinnern, als Überschreibung oder als Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit, wie etwa im Jubiläumskonzert am 7. September. Klangspuren hat zwei 30-jährige Komponist:innen eingeladen, für diesen Anlass neue Werke zu schreiben: Ole Hübner und Clara Olivares. Beide sind so alt wie das Festival selbst. Dies ist nicht nur eine launige Zahlenspielerei, sondern verdeutlicht die Ambivalenz von 30 Jahren: für das Festival eine beachtliche Zeitspanne, die Komponist:innen dagegen stehen am Beginn ihres musikalischen Werdegangs. Das Schallfeld Ensemble aus Graz, unter der Leitung von Leonhard Garms, bringt Hübners und Olivares Neukompositionen zur Uraufführung, sowie das nach wie vor hoch aktuelle Werk „Professor Bad Trip, Lesson I“ von Fausto Romitelli, der in diesem Jahr 60 Jahre alt geworden wäre.

Bild Gregor Mayrhofer
Gregor Mayrhofer (c) Ruth Urban

Mit Gregor Mayrhofer dirigiert ein Ausnahmetalent am 8. September das Tiroler Symphonieorchester Innsbruck. Gerade einmal 36 Jahre alt, hat er sich nicht nur als Dirigent, sondern auch als Komponist einen Namen gemacht. Diese Doppelkompetenz bringt er bei der Erarbeitung der neuen Komposition von Marina Khorkova ein, sowie bei der österreichischen Erstaufführung des Konzerts für Cello und Orchester „I Giardini di Vilnius“ von Francesco Filidei und dem Orchesterstück „Traces “ von Rebecca Saunders. Solist des Abends ist der italienische Cellist Francesco Dillon.

Die Schweizer Kultband The Young Gods stellt am 9. September im Innsbrucker Treibhaus ihre eigenwillige und spannende Überschreibung des legendären Minimal Music-Klassikers „In C“ von Terry Riley vor.

Einen bedeutsamen Blick zurück wirft Klangspuren Schwaz im Rahmen des überregionalen Gedenkprojekts „Memories of Memories“ und knüpft damit an eine Veranstaltungsreihe von Klangspuren im Jahr 1995 zur Zwangsarbeit in Schwaz während der NS-Zeit an. Am 10. September findet dazu die Matinée „Wie es war“, in Kooperation mit dem Tiroler Landesmuseum, mit Werken von Tiroler Komponisten wie Peter Zwetkoff, Bert Breit und Werner Pircher statt, die in ihrer Musik ihre persönlichen Erfahrungen während der NS-Zeit bzw. während der bleiernen Zeit nach dem Krieg kritisch reflektieren. Das Konzert ist Teil eines Kooperationsprojekts unterschiedlicher Tiroler Kulturinstitutionen.

Die Klangwanderung ins Vomper Loch am 17. September hat gleichfalls einen zeitgeschichtlichen Bezug. Das attensam quartett, ein der Besetzung nach klassisches Wiener Schrammelquartett, spielt zusammen mit dem großartigen Bariton Holger Falk Musik des im Februar 2023 leider verstorbenen österreichischen Altmeisters Friedrich Cerha, der sich im Vomper Loch während des 2. Weltkriegs als Deserteur versteckte. Entlang des Weges erwarten die Wanderer:innen u.a. Lesungen mit dem österreichischen Schauspieler Harald Windisch.

Bild Schallfeld Ensemble
Schallfeld Ensemble (c) Maria Frodl

Ensemblekonzerte: Musik von heute im Spiegel der Musikgeschichte

Das Ensemble Schallfeld aus Graz ist in diesem Jahr das „Ensemble in Residence“ bei Klangspuren Schwaz. Als aktiver Partner im Composers Lab erarbeitet es mit den ausgewählten Komponist:innen deren jüngst entstandene Werke. Seine hohe Kompetenz demonstriert das Ensemble Schallfeld zudem am 11. September unter der Leitung von Pierre-André Valade. Uraufführungen der Komponist:innen Timothy McCormack, Anna Korsun und Hannes Kerschbaumer, sowie der letzte Teil der „Fast Darkness“-Trilogie von Chaya Czernowin stehen auf dem Programm.

Die Rossetti Players widmen sich dem „cantica christinae“, einem mehrteiligen Werkzyklus Klaus Langs, der inspiriert ist von Gedichten Christina Rossettis, einer Dichterin aus dem Umkreis der britischen Präraffaeliten. Im Rückgriff auf Vergangenes, auf Kompositionstechniken des 15. und 16. Jahrhunderts, kreiert Klaus Lang ungewöhnliche und neue Klangwelten. Im Konzert am 10. September werden sie kombiniert mit Alter Musik von Heinrich Isaac und Giovanni Buonaventura Viviani und werfen so ein weiteres Schlaglicht auf das dialektische Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart.

Das Konzert am 15. September mit Motus Percussion aus Linz, ein aus zehn Schlagwerker:innen bestehendes Ensemble unter der Leitung von Christoph Sietzen, ist dem heute in New York lebenden österreichischen Komponisten Georg Friedrich Haas zu seinem 70sten Geburtstag gewidmet. Die Aufführung seiner fulminanten, raumgreifenden Komposition „Iguazú superior, antes de descender por la Garganta del Diablo“ findet in der stimmungsvollen Viehversteigerungshalle in Rotholz statt.

Bild Karin Hellquist
Karin Hellquist (c) Per Kristiansen

Solo, Duo, Trio: Komposition, Improvisation und Spiel

Klangspuren Schwaz hat 2023 eine Reihe herausragender Composer-Performer:innen eingeladen. Musiker:innen und Komponist:innen, die sich nicht auf eines der beiden Metiers beschränken, sondern in ihrer Person beide Kompetenzen vereinen. So interpretiert die schwedische Geigerin und Composer-Performerin Karin Hellqvist an ihrem Soloabend am 14. September nicht nur jüngste Werke von Liza Lim und Haukur Tómasson. Die Aufführung von „Solastalgia“ von Carola Bauckholt und von einem neuen Werk des schwedischen Komponisten Hendrik Strindberg verantwortet sie auch als Co-Komponistin.

Die charismatische Violinistin Sophie Schafleitner und der brillante Akkordeonist Krassimir Sterev, beide Mitglieder des Klangforum Wien, haben bereits viele Komponist:innen zu neuen Werken angeregt. Darunter Rebecca Saunders, deren Werke „Hauch“ für Violine solo und „Flesh“ für Akkordeon solo den beiden Musikern gewidmet sind und am 13. September auf dem Dachboden der Schwazer Pfarrkirche zu hören sein werden. Ebenso konnten Komponist:innen wie Mirela Ivičević, Sara Glojnaric und Franck Bedrossian gewonnen werden, für diese ungewöhnliche Klangfarben-Kombination von Violine und Akkordeon Neues zu komponieren.

Bild Lukas König
Lukas König (c) Niko Ostermann

Der Perkussionist und Composer-Performer Lukas König vertritt auf einzigartige Weise die Grenzüberschreitung zwischen Hip-Hop, Jazz und avantgardistischen Klangexperimenten. Nach zwei Soloalben nur mit Becken und Elektronik, wird sich Lukas König in einem Solokonzert am 21. September in seinem neuen Programm mit Marimbaphon und Elektronik auseinandersetzen. Am 22. September sind unter dem Titel „Moving breaking news“ zwei Uraufführungen mit Studio Dan von Lukas König und der Saxofonistin Ingrid Laubrock zu hören. Special guest des Abends ist Victoria Sheen am Flipper.

Ein besonderer Liederabend und herausragendes Musiktheater

Bild Birgit Minichmayr
Birgit Minichmayrt (c) Thomas Dashuber

Die international bekannte Schauspielerin Birgit Minichmayr singt und spielt am 16. und 17. September Lieder von Bertolt Brecht und Kurt Weill, die vor allem durch die Interpretationen Lotte Lenyas unvergesslich geworden sind. Mit dem E-Gitarristen Martin Siewert und mit Videoprojektionen von Herwig Weiser präsentiert Birgit Minichmayr die Songs in komplett neuem Gewand – eine Co-Produktion mit dem Tiroler Landestheater.

1976 haben Les Percussions de Strasbourg Music in the Belly von Karlheinz Stockhausen uraufgeführt. Die jüngste Generation dieses sich fortlaufend auffrischenden Ensembles präsentiert das Stück in einer Neuinszenierung des Komponisten Simon Steen-Andersen. Er nimmt die traumhaft anmutende Vision Stockhausens zum Ausgangspunkt seiner frappierenden Interpretation – ein außerordentliches Finale von Klangspuren am 23. und 24. September 2023 in der alten Gießerei in St. Barlmä in Innsbruck!

Future Lab

Seit jeher ist der Akademiegedanke im Festival Klangspuren Schwaz fest verankert und bildet stets einen Schwerpunkt, seit 2022 im Format „Future Lab“. Die erste Säule des „Future Lab“, das „Composers Lab“, richtet sich an internationale wie regionale junge Komponist:innen und bringt sie mit erfahrenen Komponist:innen wie in diesem Jahr Chaya Czernowin und Klaus Lang zusammen. Gemeinsam mit dem Schallfeld Ensemble und im kreativen Austausch erarbeiten sie ihre speziell für dieses Ensemble geschriebene Werke, die im Abschlusskonzert des „Composers Lab“ am 18. September zur Aufführung kommen.

„KonsTellation plus“, die zweite Säule des „Future Lab“, wurde für die Weiterbildung und Professionalisierung hochbegabter Musiker:innen in Kooperation mit dem Tiroler Landeskonservatorium eingerichtet. Das Streicherensemble konsTellation, unter der Leitung von Ivana Pristašovà, ist der zentrale Klangkörper dieses Projekts und wird anlässlich der Akademie zu konsTellation plus erweitert. Unterstützt von international geschätzten Musikerpersönlichkeiten, wie dem Dirigenten und Musiker Lars Mlekusch sowie dem Perkussionisten und Komponisten Manu Delago, können sich die jungen Musiker:innen mit zeitgenössischer Musikliteratur auseinandersetzen und mit modernen Spieltechniken vertraut machen. Gegenstand ihres gemeinsamen Arbeitsprozesses werden Werke von György Ligeti, Friedrich Cerha, Daniela Terranova sowie eine Uraufführung von Manu Delago sein, präsentiert in einem Abschlusskonzert am 20. September 2023.

Plusminus Ensemble
Plus Minus Ensemble (c) Camille Blake

Präludium

Ein zentrales Anliegen von Klangspuren Schwaz sind die Education Projekte. Zum Ende des Schuljahrs 2023 werden junge Menschen der Musikschule Schwaz und des Musikgymnasiums Innsbruck erste Erfahrungen mit zeitgenössischer Musik sammeln. Gemeinsam mit dem Plus-Minus Ensemble aus England erarbeiten sie, begleitet vom Tiroler Ensemble für Neue Musik und unter der Leitung des Komponisten und Dirigenten Neil Luck, dessen Werk „Real Telepaths“. Mit der Aufführung dieses multimedialen Kunstereignisses am 4. Juli, beginnt der Countdown bis zum Festivalstart.

Das Programm der Klangspuren-Jubiläumsausgabe 2023 wurde vom Künstlerischen Leiter Christof Dienz in Zusammenarbeit mit Clara Iannotta kuratiert. Christof Dienz zu 30 Jahre Klangspuren Schwaz: „Ich bin selbst von Beginn an ein riesen Fan der Klangspuren. So wie mich, inspirieren die Klangspuren seit 30 Jahren ein Publikum, das Lust auf Neues und gehörte Abenteuer hat. Zudem bieten die Klangspuren seit 30 Jahren eine Plattform für regionale und internationale Künstler und unterstützen damit wesentlich die Suche und Forschung nach neuen Klängen. Das ist eine erfüllende Aufgabe, die wichtig ist und mich sehr glücklich macht.“

Für das Sujet des Festivals 2023 konnte das Festival den renommierten österreichischen Künstler Peter Kogler gewinnen.

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