30 over 30: TEIL 4

Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums von mica – music austria haben wir 30 Künstler:innen über 30 gefragt, wie sich ihre Musik, ihre Sichtweise und die Musikindustrie im Laufe der Jahre und mit dem Wandel der Zeit entwickelt haben (oder auch nicht). In einer Kultur und Branche, die oft von Neuheiten getrieben wird, wollten wir diese Gelegenheit nutzen, um uns auf ebenso wichtige Aspekte der Musikszene zu konzentrieren, wie Wissen, Erfahrung und hart erarbeitete Weisheit. Für den vierten Teil der Serie haben wir LISA KORTSCHAK, BENNY OMERZELL, JELENA POPRŽAN, ELISABETH SCHIMANA und MARTIN SIEWERT zu ihrer Arbeit und ihrem Leben als Musiker:in, ihren Ansichten über die Branche und die Kultur sowie zu den Ratschlägen, die sie der jüngeren Generation geben, befragt.

Wie haben sich deine Erfahrungen in der Musikbranche mit zunehmendem Alter verändert?

Elisabeth Schimana: Sie sind anders, ich würde nicht sagen besser, aber ja doch respektvoller.

Martin Siewert: Meiner Einschätzung nach haben sich die Arbeitsbedingungen in der Musikbranche in den letzten Jahren tatsächlich signifikant verändert, größtenteils zum Schlechteren – ich kann allerdings keine Korrelation mit dem Alter ausmachen, ich denke, dass die Voraussetzungen heutzutage für alle Musiker:innen schwierigere sind, für junge wie ältere.

Lisa Kortschak: Meine Tätigkeit als Musik-/ Soundproduzentin hat mit den Jahren zugenommen. Auch die Einkünfte, die ich darüber lukriere, haben sich vermehrt. Ich bin und war aber nie nur in ‚der Musikbranche‘ zuhause, sondern verorte mich eher in einer transmedialen Mischlandschaft, die sich aus unterschiedlichen künstlerischen Feldern und Formaten zusammensetzt.

Zu meinen Bands: Dazu kann ich sagen, dass man früher von Venues (vor allem Wien) für Auftritte noch Gagen bekommen hat. Heute muss man für die Ton-/ Lichttechniker:innen aus dem Door Money zahlen, wenn man Gigs selbst organisiert und nicht von Veranstalter:innen eingeladen wird. Der Deal hat sich eindeutig verschlechtert.

Lisa Kortschak (c) Gregor Mahnert
Lisa Kortschak (c) Gregor Mahnert

Andererseits spielen wir mit HALF DARLING (live 5-6 Personen) auch Konzerte, die OK bezahlt sind. Die Kosten- Gage für 6 Personen plus Fahrkosten plus Unterbringung/Verköstigung – sind gar nicht so gering und ich bin froh, dass wir Veranstalter:innen das wert sind. Da mache ich, was Interesse und Feedback betrifft, mit dieser Band weitaus die besten Erfahrungen meines bisherigen Bandlebens. Ein Aufschwung im Alter.

Hast du beobachtet/wahrgenommen, dass die Musikbranche Künstler:innen auf Grund ihres Alters unterschiedlich behandelt?

Elisabeth Schimana: Geht es jetzt um das Alter oder um eine Person, die, weil sie älter ist, viel Erfahrung mitbringt? Da gibt es nämlich einen großen Unterschied. Ich kenne nur die Variante einer Person, die, weil älter, viel Erfahrung hat und das wird gewürdigt.

Martin Siewert: Ich würde mir gerade bei Festivals ein größeres Augenmerk auf junge Künstler:innen wünschen. Gerade im experimentellen Sektor stoße ich immer wieder auf Festivalprogramme, in denen sich nur sehr wenige Künstler:innen unter 40 finden lassen.

„In patriachalen, kapitalistischen Systemen wird die Macht des/ der Stärkeren zelebriert. Alles, was als schwächer gelesen wird ist dann gefährdet, Diskriminierung ausgesetzt zu sein.“ – Lisa Kortschak

Lisa Kortschak: Bestimmte Förderungen und Preise von öffentlichen Stellen (z. B. MA7, BMKÖS) werden nur bis zum Alter von 40 Jahren vergeben. Für ‚Late Bloomer‘ wie mich ist das alles andere als ideal, da es einen ‚zeiteffizienten‘, leistungsorientierten und damit auch kapitalistisch geprägten Karriererhythmus voraussetzt. Die Botschaft lautet: Man muss bis zu einem bestimmten Alter ein bestimmtes Karrierelevel erreicht haben – sonst hat man Pech gehabt.
Auch Institutionen wie der Musikfonds vergeben Förderungen vorrangig nach ihrer Einschätzung der ‚Vermarktbarkeit‘ von Acts. Dabei spielen Kriterien wie Alter, Karrierelevel, Look, Gender usw. mit Sicherheit eine Rolle. Fazit: Unsympathisch.

Hast du das Gefühl, dass dein Alter die Möglichkeiten, die dir in der Musikbranche zur Verfügung stehen, verändert hat? 

Jelena Popržan: Der Jugendkult ist in der Szene deutlich präsent. Ältere Musiker:innen oder – sagen wir – jene, die in der Szene bereits etabliert sind, werden oft als nicht mehr förderungswürdig angesehen, da sie angeblich „schon genug“ hätten. Gleichzeitig sinkt der Marktwert von Frauen mit zunehmendem Alter – so banal und überholt das auch klingt, es ist leider immer noch Realität.
Der Markt ist zudem auf ständige Neuheiten und „frisches Fleisch“ ausgerichtet, was eine weitere und tiefere künstlerische Entwicklung oft bremst oder gar verhindert. Natürlich ist es wichtig, junge Künstler:innen zu fördern. Aber genauso wichtig ist es, die Älteren nicht im Stich zu lassen.
Ich habe einmal gehört, dass es bis 40 meist irgendwie funktioniert – und dann erst ab 60 wieder, vorausgesetzt, man hat es bis dahin überlebt …

Lisa Kortschak: Die meisten in unserer Band sind zeitlich nicht mehr so flexibel wie früher. Sie haben Jobs, Kinder oder andere Projekte, was sich darauf auswirkt, wie oft wir auftreten können oder wollen. Ich würde gern häufiger spielen und damit den Bewegungsradius der Band erweitern, aber die Verfügbarkeit aller Bandmitglieder setzt uns da Grenzen.Gleichzeitig merke ich, dass ich nach mehreren Konzerten hintereinander längere Regenerationszeiten brauche als früher. Equipment schleppen, stundenlang im Auto sitzen und dann beim Konzert voll aufdrehen – das kostet viel Energie. Vor 10–20 Jahren hätte ich das sicher noch leichter weggesteckt.

Nutzt du soziale Medien oder digitale Medienplattformen? Wie nimmst du die sich ständig verändernden und neu aufkommenden Plattformen oder Technologien wahr oder wie gehst du damit um?

Elisabeth Schimana: Ich bin sehr restriktiv – nicht, weil ich diese Plattformen oder Technologien nicht bedienen könnte, sondern weil ich aufgrund von Datenschutzbedenken und der Ausbeutung durch die großen Player keine Lust habe, da mitzuspielen. In dieser Hinsicht ist mein Alter ein Vorteil, denn ich muss mich nicht erst jetzt bemerkbar machen. Ich denke, jüngere Künstler:innen haben da ein größeres Problem, denn ohne diese Medien ist es heutzutage vermutlich schwierig, an Aufträge zu kommen.

Elisabeth Schimana (c) press photo
Elisabeth Schimana (c) Reinhard Mayr

„Ich bin (mit Social Media) sehr restriktiv […] da ist mein Alter natürlich ein Vorteil, weil ich mich nicht erst jetzt bemerkbar machen muss. Ich denke da haben jüngere Künstler:innen ein größeres Problem…“ – Elisabeth Schimana

Martin Siewert: Ich gönne mir den Luxus, soziale Medien möglichst wenig zu nutzen – privat gar nicht und beruflich, wie gesagt, so selten wie möglich. Die Grenzen zwischen Informationen (die oft ohnehin nur von geringem Interesse sind) und Werbung bzw. Selbstvermarktung sind mir dort zu verschwommen.

Jelena Popržan: Ich komme aus einer Zeit, in der Selbstdarstellung und Selbstlob ein No-Go waren und sogar als beschämend galten. Heute hingegen sind Selbstanpreisung und permanente Präsenz nahezu unverzichtbar. Darin bin ich nicht besonders gut – Instagram nutze ich bis heute nicht.
Der Druck, sich die neuen Formen der Selbstdarstellung anzueignen und online ständig präsent zu sein, ist enorm. Ich frage mich, wie viele es tatsächlich schaffen, diesen (nicht mehr ganz neuen) Trends zu folgen und sich so zu inszenieren, wie es der Markt verlangt, nur um im öffentlichen Diskurs bestehen zu können.

Benny Omerzell: Nur sehr oberflächlich. Ehrlich gesagt ist mir das alles ein bisschen zu stressig. Ich bekomme zwar – und das völlig zu Recht – immer wieder gut gemeinte Vorwürfe, dass ich mich und meine Musik besser bewerben sollte, und ich bemühe mich, daran zu arbeiten. Gleichzeitig möchte ich vermeiden, dass die Vermarktung mich zu sehr vom eigentlichen Musikmachen ablenkt. Mein Ziel ist es, hier eine gesunde Balance für mich zu finden.

Lisa Kortschak: Ich bin allergisch auf diese Spirale aus hypnotischer Sogwirkung und manipulativer Wichtigkeitsbehauptung von Social Media und finde es eigentlich subversiv, da nicht oder nur bedingt mitzugehen. Email Newsletter is still best.

Hat das Älterwerden deinen kreativen Prozess, die Themen deiner Musik oder die Arten von Projekten, zu denen du dich hingezogen fühlst, beeinflusst?

Lisa Kortschak: Sicher. Durch Erfahrungen, die ich in Arbeitsprozessen gemacht habe, habe ich meine Tools entwickelt und baue die Palette immer weiter aus. Es gibt auch Themen, die das ‚Älterwerden‘ mit sich bringt und die dann neue/andere Prozesse anregen. Gleichzeitig ändern sich auch die Zeiten und äußere Umstände/Situationen/politische Lagen wirken auf Arbeitsweisen, Auseinandersetzungen und Inhalte von künstlerischen Arbeiten und Outputs ein.

Benny Omerzell: Ein klares Ja. Mit zunehmendem Alter und der damit verbundenen Erfahrung habe ich mich immer mehr an meine musikalischen Wurzeln erinnert. Das hilft mir heute enorm, besser einzuschätzen, in welchen Projekten und mit welcher Art von Musik ich einen wertvollen Beitrag leisten kann. Die frustrierendsten Erfahrungen meiner Karriere habe ich in Projekten gemacht, bei denen ich ästhetisch, handwerklich und wohl auch zwischenmenschlich fehl am Platz war – für alle Beteiligten eine belastende Situation.

Hat sich deine Einstellung zu Tourneen und Reisen mit zunehmendem Alter verändert?

Elisabeth Schimana: Nein. Mir war immer wichtig irgendwo zu sein, eine Art Tour von a nach b und anderswo hat mich nie interessiert. Aber das ist auch meinem Schwerpunkt Komposition geschuldet, als Musikerin, müsste ich wohl anders denken.

Benny Omerzell: Definitiv. So aufregend das Tourleben auch sein mag, habe ich vor ein paar Jahren erkannt, dass dieser Lebensstil auf Dauer weder geistig noch körperlich gesund für mich ist. Aus diesem Grund habe ich meinen Fokus auf eine Form von musikalischer Arbeit verlagert, die es mir ermöglicht, zumindest etwas häufiger und länger am Stück zu Hause zu sein – und weniger Zeit auf Autobahnen und in Hotelzimmern zu verbringen.

Benny Omerzell (c) Veronika Klammer
Benny Omerzell (c) Veronika Klammer

Martin Siewert: Das Reisen wird einem als Musiker:in tatsächlich zunehmend erschwert – abermals hat das nichts mit dem Alter zu tun, stellt aber ein großes Problem dar: Einerseits der (politisch verständliche) Versuch Individualverkehr zu beschränken, andererseits viel zu wenig Rücksichtnahme und Verständnis für uns Musiker:innen bzw. Bands, die im täglichen Konzert- und Tourbetrieb auf PKWs angewiesen sind (City-Fahrverbote, Parkregelungen, exorbitante Taxikosten etc.).

Gleichzeitig ein zunehmend erratischer und unzuverlässiger Zug- und Flugverkehr, in dieser Form meiner Einschätzung nach in den allermeisten europäischen Ländern für professionelle Reisen nicht zu gebrauchen (überfüllte Züge, stundenlange Verspätungen, abgesagte Flüge und zunehmend auch wieder vorsätzliche Überbuchungen seitens der Airlines etc.).

Außerdem Restriktionen bezüglich des erlaubten Gepäcks – habe schon von mehreren Fällen gehört wo z.B. Kolleginnen mit Kontrabass oder Harfe aus Zügen gebeten wurden, weil die Instrumente die erlaubten Gepäcksmaße überschreiten.

„Das Bild von der den Rock’n’Roll lebenden Musiker:in ist, zumindest in meiner Generation, erstaunlich tief in der musikalischen Sozialisierung verankert.“ – Benny Omerzell

Gibt es als langjährige/r Künstler:in in Bezug auf deine Gesundheit besondere Beeinträchtigungen, Verletzungen oder andere musikspezifische Leiden, die du oder deine Kolleg:innen erlitten haben und die nicht genügend Anerkennung, Unterstützung oder Entschädigung erhalten?

Jelena Popržan: In Österreich sind selbstständige Musiker:innen gegen Krankheitsausfälle auf keinen Fall genug abgesichert. Mit zunehmendem Alter vergrößern sich ja die Gesundheitsrisiken. Verletzungsgefahren, physische und psychische Krankheiten, geistige „Abnützungserscheinungen“ durch enormen Leistungsdruck … Mir ist noch nichts Schwerwiegendes passiert, aber eine Ermüdung spüre ich schon. Ich kenne einige Kolleg:innen, die längeren Ausfälle hatten, und weiß, dass in solchen Fällen Engagements verloren gehen und wir keinen Ersatz bekommen können. Dadurch können Existenzen vernichtet werden.

Lisa Kortschak: Ich hatte 2014 einen Bandscheibenvorfall im Rahmen eines künstlerischen Projekts durch eine Kombination aus Workload und Stress. Bis heute ist mein Rücken eine Schwachstelle und meldet sich, sobald sich hohe Anforderungen und Stress im Rahmen von kreativen Prozessen mischen. Alternativmedizinische Behandlungen à la Osteopathie oder Physiotherapie kann ich mir nur im Akutfall leisten. Dass es für alternativmedizinische Behandlungen nicht mehr finanzielle Unterstützung gibt und sich gleichzeitig das Gesundheitssystem allgemein verschlechtert, betrifft aber alle.

Benny Omerzell: Ein heikles Thema, aber ich kann leider aus eigener Erfahrung sagen, dass Alkohol und andere Drogen ein Problem darstellen können, das oft ignoriert und normalisiert wird. Das Bild der Rock’n’Roll lebenden Musiker:in ist, zumindest in meiner Generation, erstaunlich tief in der musikalischen Sozialisierung verankert. Außerdem arbeiten wir größtenteils an Orten und zu Zeiten, an denen vor allem Alkohol ein fester Bestandteil der Szenerie ist. Das alles, kombiniert mit Stress, Druck und den Sorgen der Selbstständigkeit, kann zu einer gefährlichen Mischung werden, die auf eine fiese, schleichende Weise erstaunlich schnell aus dem Ruder laufen kann. Ich finde es sehr wichtig, dass dieses Thema auch unter Kolleg:innen angesprochen werden kann.

Bist du der Meinung, dass es genügend finanzielle Absicherungen, Altersvorsorge und andere Einrichtungen gibt, die vor finanziellen Krisen, finanziellen Engpässen oder Existenzangst, insbesondere im Alter, schützen können? 

Lisa Kortschak: Nein.

Elisabeth Schimana: Das größte Problem ist die Verwertungsgesellschaft – nicht, weil ich alt bin, sondern weil sie bestimmte Arten von Kompositionen nicht anerkennt und völlig gering bewertet. Daher ist es nicht möglich, eine Altersvorsorge als Anerkennung zu erhalten. Es gibt zwar den SKE, und man kann dort um Unterstützung ansuchen, aber ich finde das erniedrigend, da kein Rechtsanspruch besteht. Meine Altersversorgung habe ich mir durch andere Tätigkeiten erarbeitet.

Jelena Popržan (c) Georg Cizek
Jelena Popržan (c) Georg Cizek

„Es ist natürlich sehr wichtig junge Künstler:Innen zu fördern, aber wichtig ist auch die Älteren nicht im Stich zu lassen. Ich habe mal gehört, dass es bis 40 meistens funktioniert und dann erst ab 60 wieder, wenn man/Frau es überlebt hat …“ – Jelena Popržan

Hast du Vorbilder in der Branche, die die Herausforderungen des Älterwerdens erfolgreich gemeistert haben? Was kann man deiner Meinung nach von ihnen lernen?

Lisa Kortschak: Chaka Khan hat vor Kurzem eines der besten Tiny Desk Concerts gegeben. Peaches entwickelt sich ständig weiter oder erfindet sich gleich neu. Wenn dich Dinge interessieren und du dich für das, was du tust – oder für andere – interessierst, lernst du nie aus. Dann geht der Trip immer weiter.

Elisabeth Schimana: Einige, z. B. Eliane Radigue, Beatriz Ferreyra und Helga de la Motte – alle noch aktiv, wenn auch mit Einschränkungen, aber einfach großartig!

Benny Omerzell: Es gibt unzählige, aber wenn ich mich für zwei entscheiden müsste, wären es ganz klar Thom Yorke und Jonny Greenwood. Ihre Musik begleitet mich schon seit meiner Jugend und inspiriert mich immer wieder aufs Neue. Nicht nur die Musik selbst, sondern auch die Konsequenz, mit der sie sich trotz aller Erfolge immer wieder neu erfinden und ihre Ideen völlig kompromisslos weiterverfolgen.

Auf welche Weise überschneiden sich Altersdiskriminierung und andere Formen der Diskriminierung in der Musikbranche aus deinen eigenen Erfahrungen oder denen anderer, die du kennst?

Lisa Kortschak: In patriarchalen, kapitalistischen Systemen wird die Macht des/der Stärkeren zelebriert. Alles, was als schwächer wahrgenommen wird, ist dann gefährdet, Diskriminierung ausgesetzt zu sein. Welche Musiker:in (FLINTA) wurde z. B. noch nicht von einem Stage-Tontechniker erklärt, wie sie ihr Instrument spielen oder handeln soll?!

Glaubst du, dass die Musikbranche ihre Unterstützung für Künstler:innen aller Altersgruppen verbessern muss? Welche Veränderungen erhoffst du dir für die Zukunft in der Musikbranche in Bezug auf die Integration von Menschen jeden Alters?

Martin Siewert: Ich tue mir schwer mit dem Terminus „Musikbranche“ – ich sehe vor allem die KULTURPOLITIK gefordert, die im Falle der Musik wie auch in anderen Kunstsparten das Gros der sehens-, hörens- und erlebenswerten nichtkommerziellen Kunsterlebnisse ermöglicht. In den letzten Jahren habe ich hier eine schleichende Provinzialisierung und ein zu großes Augenmerk auf lokale Künstler:innen beobachtet: Beispielsweise gibt es ganze Festivals und Veranstaltungsreihen, die nur Repräsentant:innen eines bestimmten Landes oder sogar einer Stadt zugänglich sind.

Lisa Kortschak: Mehr Förderungen für unterschiedlichere Musiksparten- Her damit!!

Martin Siewert (c) Lisbeth Kovacic
Martin Siewert (c) Lisbeth Kovacic

„Ich würde mir bei Festivals ein größeres Augenmerk auf junge Künstler:innen wünschen, gerade im experimentellen Sektor stoße ich immer wieder auf Festivalprogramme in denen sich nur sehr wenige Künstler:innen unter 40 finden lassen.„ – Martin Siewert

Welchen Rat würdest du jüngeren Musiker:innen geben, um eine nachhaltige und erfüllende Musikkarriere aufzubauen?

Elisabeth Schimana: Das zu machen, was brennt!

Martin Siewert: Sich möglichst breit aufzustellen, singuläre Ereignisse (sei es in Form von Medienresonanz, Preisen, Kritiken usw.) im Positiven wie im Negativen nicht zu ernst zu nehmen, den Mut für pointierte künstlerische Positionen aufzubringen (auch wenn diese temporär nicht dem Zeitgeist oder dem „Flavour of the Month“ entsprechen) und sich darauf einzustellen, einen langen Atem haben zu müssen.

Benny Omerzell: Ein großer Teil des Musikmachens mit anderen Menschen besteht aus gemeinsamem Abhängen. Sucht euch Mitmusiker:innen, mit denen ihr gerne Zeit verbringt, eine grundsätzlich zumindest ähnliche ästhetische Empfindung teilt und ein gemeinsames Ziel verfolgt.

Lisa Kortschak: Informiert euch ausreichend über mögliche Förderprogramme, seid mutig und selbstbewusst und traut euch, euch zu bewerben.

Was würdest du älteren Menschen raten, die eine Musikkarriere in Betracht ziehen oder ihre Karriere bis ins hohe Alter fortsetzen wollen?

Elisabeth Schimana: Zwei verschiedene Angelegenheiten: neu beginnen eher schwierig, dabeibleiben unerlässlich.

Lisa Kortschak: 1. Stay alive! 2. Ich habe erst mit 32 an der Akademie der bildenden Künste zu studieren begonnen. Bevor ich mich dort beworben habe, war ich unsicher, ob es sich in diesem Alter noch lohnt, ein Studium zu starten. Im Das Biber las ich damals ein Interview mit einer türkischen Rapperin. Auf die Frage, was sie Mädchen und Frauen mitgeben möchte, war ihre Antwort: „Bildet euch, bildet euch, bildet euch! Glaubt nicht, es sei jemals zu spät dafür. Ist es nämlich nie!“ Das klingt vielleicht ein bisschen pathetisch – aber das hat mir den letzten Anstoß gegeben, die Aufnahmeprüfung schließlich zu versuchen. (Die Haltung, dass, auch wenn manches nicht möglich ist, mindestens genauso viel möglich ist, habe ich internalisiert.)

Benny Omerzell: Vorausgesetzt, die Waagschale bleibt klar in Richtung Freude geneigt, sollte man nicht aufhören, selbst wenn es nicht mehr auf großen Bühnen oder sogar nur noch zu Hause ist. Und wenn man nicht mehr spielen möchte oder kann, kann es sehr bereichernd sein, die mühsam erarbeiteten Erfahrungen an jüngere Menschen weiterzugeben. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass ich noch lange Freude am Musikmachen haben werde.

Arianna Alfreds

Hinweis: Die hier vorgestellten Künstler:innen haben nicht gemeinsam an dem Interview teilgenommen. Die Redaktion hat die einzelnen Antworten zu einem gemeinsamen Artikel zusammengefasst.

Alle „30 over 30“-Artikel findet man hier. Und hör dir unsere „30 over 30“ Playlist auf Spotify an!

Featured Artists

Lisa Kortschak lebt und arbeitet als transmediale Künstlerin mit Schwerpunkt Video, Videoinstallation und Performance in Wien. In ihren Arbeiten kombiniert sie Töne, Film, Performance und Dokumentation, komponiert Musik/ Sound für Videos, Theater und Performances und ist als Musikerin/Sängerin in Bands wie HALF DARLING oder IN THE HILLS THE CITIES aktiv.

Benny Omerzell allein über seine Virtuosität an den Tasten zu beschreiben, würde ihm als Musiker nicht gerecht werden. Er ist Klangschöpfer, der dem zeitbasierten Medium Animationsfilm ebenso viel abgewinnen kann, wie der Musik. (Gerald Zagler)

Jelena Popržan, geboren in Jugoslawien/Serbien, Bratschistin, Sängerin und Komponistin, kam 2002 nach Österreich. Ab 2009, eigene Projekte wie Catch-Pop String-Strong, Sormeh und Madame Baheux haben begonnen. Ab 2016: Soloprojekt “La Folia” und ab 2021: Jelena Popržan Quartett. Zahlreiche Kooperationen in den Genres World, Jazz, (freie) Improvisation, Klassik … Tourt im Land und international, komponiert und performt fürs Theater, wofür sie mit Klang und Instrumentenbau experimentiert. Zahlreiche Preise und Anerkennungen im Musik- und Theatermusikbereich.

Elisabeth Schimana arbeitet als Komponistin, Performerin und Radio Künstlerin seit 1983. 2005 gründete sie IMA – Institut für Medienarchäologie. Derzeit beschäftigt sie sich mit der Anwendung und Erforschung von Audiopartituren für Interpret:innen.

Martin Siewert arbeitet als Gitarrist & Improvisator, aber auch als Komponist in akustischen und / oder elektronischen Kontexten; zahlreiche Kollaborationen, und Kompositionen für Theater, Tanz & Film.

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