30 JAHRE WIENER MUSIK GALERIE

Franz Koglmann hat in den letzten 30 Jahren einen ganz eigenen Klangpfad in der neueren Jazzentwicklung beschritten: Nach Anfängen in der Free Music suchte er einen dritten Weg zwischen Improvisation und Komposition. „Third Stream“ – aber nicht als Reminiszenz an eine historische Epoche, die Organisation und Freiheit zu verknüpfen versuchte, sondern als Möglichkeitsmusik, als Zukunftsprojektion, die aus der Vergangenheit schöpft, als Glasperlenspiel, das gerne der Logik des Traumes und des Wahns folgt und sich im Fragment und mit einer Syntax des Disparaten der Brüchigkeit einer instabilen Wirklichkeit stellt.

„Genauigkeit in der Melancholie“ ist ein Epithet, mit dem Koglmanns Musik häufig versehen wird. Und dies zu Recht: Bei aller zerebralen Konstruktionslust lassen seine von Literatur, Malerei und Film inspirierten Klang-Assemblagen Gefühle zu, ohne je in Sentimentalität abzugleiten. Es geht ihm darum, in Zeiten einer Erosion der Form neue Klanggestalten und Figurationen zu finden, die der menschlichen Ausdrucksvielfalt eine zeitgenössische Intensität verleihen. Ein Spiel ohne Grenzen, mit berückenden Teilergebnissen und offenem Ausgang. Nicht post-modern, sondern post-klassisch.

In diesem Jahr sind zwei Jubiläen zu begehen: 65 Jahre Franz Koglmann und 30 Jahre Wiener Musik Galerie, deren Wirken auf`s Engste mit der Arbeit des Flügelhornspielers und Komponisten verknüpft ist. Als künstlerischer Leiter dieser mobilen Institution füllte Koglmann eine Wahrnehmungslücke in der Wiener Musikrezeption: Er präsentierte, gemeinsam mit Ingrid Karl Klangforscher, Improvisatoren, mad scientists,  die jenseits der institutionellen Verwaltung, an neuen Legierungen von intuitiver Klangschöpfung und  zielgerichtetem, kompositorischem  Prozess arbeiteten.

Die Wiener Musik Galerie ist bis heute ein Labor, das große Klassiker einer unorthodoxen Jazzauffassung wie Gil Evans, Steve Lacy oder den österreichischen Cool-Giganten Hans Koller genauso vorstellte wie den Innovator John Zorn oder den eigensinnigen Sound- und Texturenforscher Derek Bailey. Und dies mit dem Willen zur heute vehement eingeforderten Nachhaltigkeit: Denn die Gäste der Wiener Musik Galerie spielten nicht etwa nur Konzerte, sondern veranstalteten auch Workshops mit Wiener Musikern, die ungewöhnliche und in Wien nicht gelehrte Formen der musikalischen Gestaltung somit aus erster Hand kennenlernen konnten.  Franz Koglmann und die Wiener Musik Galerie, das bedeutet: Den Körper schreiben, den Geist elektrisch singen, die Verhältnisse zum Tanzen bringen: Let`s cool one!

Aus Anlass des Doppeljubiläums findet am 24. November im ORF RadioKulturhaus eine Koglmann-Personale statt, ein musikalisches Statement des aktuellen Third Stream, mit zwei Uraufführungen, darunter ein ‘Börsenkonzert’ (Text: Alfred Zellinger) und 4 Lieder nach Gedichten von Ronald Pohl, die Stars wie den Nestroy-Preisträger Markus Hering, die brillante Mezzosopranistin Martina Claussen und Luxusdrummer Günter ‘Baby’ Sommer inkludieren, sowie eine Sonate mit Cello-Crack Florian Kitt (die erstmals in Wien zu hören ist) und ein Night Drive – Concerto grosso unter dem souveränen Dirigat des Wiener Avantgarde-Wegbereiters Peter Burwik.

30 JAHRE WIENER MUSIK GALERIE
MIT FRANZ KOGLMANN IM FOKUS
24. November 2012, 20 Uhr
ORF RadioKulturhaus Grosser Sendesaal

Das Programm im Detail:

DAYS OF YORE
für Cello und Klavier   (2003)

Florian Kitt, Violoncello
Aima Maria Labra-Makk, Klavier

Als die Kleider der Frauen noch geraschelt haben: „Days of Yore“ ist einerseits ein walk down memory lane, andererseits eine Neubelichtung/ – beleuchtung aus der Gegenwartsperspektive. Debussys Nonenakkorde schwingen im Erinnerungsraum genauso mit wie die „Birth of the cool“-Sessions aus den vierziger Jahren. All dies aber gebrochen durch eine zeitgenössische Sensibilität, die die Revolutionen der vergangenen Jahrzehnte im Tornister hat und daraus ihre eigenen Lehren zieht.
Tempi passati, tempi moderni: ein dialektisches Wechselspiel zwischen Vergangenheit und Gegenwart.  Verdichtung und Konzentration in einer kammermusikalischen Vignette zwischen Impressionismus und einem Cool, das direkt zu einer ins Irgendwo verlaufenden Straße führt: Komm ins Offene, Freund!
Der Widmungsträger Florian Kitt hat diese Komposition mittlerweile bereits weltweit aufgeführt; nun erlebt sie ihre Wiener Erstaufführung.

BIX AND THE BOYS
Vier Lieder nach Gedichten von Ronald Pohl   (2012)  UA

Martina Claussen, Mezzosopran
Josef Mayr, Klavier

Die drei ikonischen Jazz-Trompeter Bix Beiderbecke, Miles Davis und Chet Baker eint das phantastische Gespür für den Klangsinn. In ihren kühlen Verlautbarungen, die  von Sehnsucht, Schmerz und Schönheit erzählen, blitzt nicht nur ein tiefes  Wissen um die Zerrissenheit und Brüchigkeit der Moderne auf.  Es ist der Mythos von Amerika selbst, der in ihren delikat timbrierten Klangexkursionen einerseits emphatisch bejaht und andererseits subtil dekonstruiert wird. Fragmente, Partikel, Miniaturen aus einer Wirklichkeit in all  ihrer Komplexität und ihrem Widerspruch. Verknüpft durch die Logik des Traumes und die surreale Überhöhung des unzulänglichen Allzumenschlichen:  Vier Gedichte als Produkte einer Spurensuche im mitternachtsblauen, viel geschundenen Herzen Amerikas.

NIGHT DRIVE
Concerto grosso für Kammerorchester   (2011)

exxj – ensemble xx. jahrhundert
Dirigent: Peter Burwik

Dieses Concerto grosso wurde im Vorjahr für Peter Burwiks exxj – ensemble xx. jahrhundert komponiert und im Rahmen eines Jubiläumskonzerts uraufgeführt.
NIGHT DRIVE hat seinen Ausgangspunkt im Intervall der reinen Quarte. Dieses Intervall – wir kennen es alle von Polizei und Feuerwehr – ist sozusagen das einzige Motiv, von dem sich alles ableitet. Wir hören es hier im Kontext eines Hör-Films oder eines akustischen Video-Clips. Vielleicht glauben wir, eine nächtliche Autofahrt über den Wiener Gürtel wahrzunehmen; keine mimetische Abbildung,  aber eine Passage voll von kleinen Anspielungen, Hör-Kontrasten und Störgeräuschen. Ein Cruisen über einen Boulevard zwischen Rotlicht und Blaulicht, der mit seinem Wechselspiel aus  Helligkeit und Dunkel und dem abrupten Rhythmuswechsel zwischen Allegro, Adagio und Presto durchaus Magie ausstrahlen kann.
NIGHT DRIVE ist jazzy ohne wirklich Jazz zu sein. Ein Tanz der Synkopen und gleichzeitig  ein Concerto grosso für Kammerorchester. Form, Funktion und Intuition. Die Klischees des Jazz beim Begriff genommen und lustvoll gegen sich selbst gewendet: Drive all night, to get away from it all.

BÖRSENKONZERT
für Stimme, Ensemble und Screens   (2012)  UA
Text: Alfred Zellinger

Markus Hering, Stimme
Franz Koglmann, Trompete, Flügelhorn
Attila Pasztor, Violoncello
Robert Brunnlechner, Fagott, Kontrafagott
Günter ‘Baby’ Sommer, Schlagzeug

Im 2. Teil des Konzerts bringt Franz Koglmann das Stück ‘Börsenkonzert’ von Alfred Zellinger zur Uraufführung. Als ehemaliger Banker beschreibt Zellinger darin dramatische Börsentage in Zeiten der Krise: Tokyo 11/3/11, als das große Erdbeben ausbricht und ein Trader inmitten der seismischen Erschütterungen die letzte Viertelstunde bis zum Börsenschluss zur Gewinnmaximierung nutzt; City of London 8/8/11, als Moody’s eben die USA herabgestuft hat und ein Daytrader den Weltuntergang erwartet; Frankfurter Börse 3/11/11, als die G20 tagen und die Griechenlandkrise wieder einen Höhepunkt erreicht. Dem Inhalt entspricht auch die musikalische Form. Gespielt werden die Börsencharts dieser Tage: ‘Koordinatenmusik’ bei der die Koordinaten der Charts herkömmliche Notenzeilen ersetzen…

1. Satz: DIE LETZTE VIERTELSTUNDE
TOKYO STOCKEXCHANGE  11/3/2011

2. Satz: EIN BÖRSENTAG
BÖRSE FRANKFURT  3/11/2011

3. Satz: DAYTRADERS WEEK
LONDON STOCK EXCHANGE  8 – 12/8/2011

Kompositionen: Franz Koglmann
Moderation: Irene Suchy

Diese Veranstaltung ist eine Kooperation von Wiener Musik Galerie mit dem ORF RadioKulturhaus sowie der sustanzieller Unterstützung  der Kulturabteilung der Stadt Wien des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur und Austro Mechana – SKE Fonds.

Foto Franz Koglmann © Elfie Semotan

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