Was macht einen guten Musiker aus? Möglichst viele Stile zu beherrschen, sie zu verstehen, zu imitieren und mit ihnen zu interagieren? Für einen gefragten Sideman vielleicht. Oliver Johnson aka Dorian Concept hatte schon immer genug Selbstvertrauen und Mut, pädagogisch wertvolle Schritte zu überspringen, um all seine Zeit und Energie in die Verwirklichung seines eigenen Stils zu investieren. Kein Wunder also, dass der damals noch junge Synthesizer-Tüftler schon bald als herausragender Newcomer zum Zugpferd des Indie-Labels Affine Records avancierte. Doch Mut und Eigenständigkeit sind nur die halbe Miete. Mit “Trilingual Dance Sexperience” (2009) gelang ihm ein wahres Meisterwerk, das ihn wenig später in den erlesenen Kreis des international renommierten Labels Brainfeeder aufsteigen ließ und Kollaborationen mit Flying Lotus, Thundercat u. a. sowie weltweite Konzerttätigkeiten ermöglichte. Das bevorstehende Konzert 20 Jahre Dorian Concept im Konzerthaus war für Dominik Beyer Anlass, mit dem unbeugsamen Musiker im mica – music austria Interview über die künstlerischen und musikwirtschaftlichen Entwicklungen der letzten zwei Jahrzehnte zu sprechen.
Jemand wie du, der sich kompositorisch sehr stark von dem Moment und der Intuition leiten lässt, möchte vermutlich nicht über große Zukunftsprognosen sprechen. Zu “20 Jahre Dorian Concept” ist aber vielleicht ein guter Zeitpunkt, Vergangenes zu resümieren. Was erwartet uns denn im Konzerthaus?
Oliver Johnson: Ich fühle mich noch zu jung, um eine große Retrospektive zu veranstalten, in der nur noch die Hits gespielt werden. Ein Teil des Konzerts wird schon aus alten Nummern bestehen, die ich im Trio mit Clemens Bacher aka Cid Rim am Schlagzeug und Manu Mayr am Bass neu interpretieren werde.
Im anderen Set möchte ich auch einen Film zeigen und vertonen. Diese Leidenschaft ist während Corona entstanden. Dabei werden auch Ausschnitte aus meiner Jugend zu sehen sein. Und ein Solo-Set mit reduziertem Besteck: ein analoger Monosynth, ein Looper und ein Reverb – ähnlich wie in meinen Social-Media-Videos, nur in längerem Format.
Und im Solo-Set lässt du dich treiben und vertraust auf den Moment? So à la Keith Jarrett am Monosynth – oder bereitest du es präzise vor?
Oliver Johnson: Teils, teils. Es ist schon durchstrukturiert, aber ich lasse auf jeden Fall Platz für Improvisationen.
Und auf welchen Teil deines Oeuvres freust du dich am Meisten? Oder gab es manche Sachen, die schwierig sind, im Trio umzusetzen?
Oliver Johnson: Auf jedem Album oder jeder EP gab es immer eine Nummer, die sich angeboten hätte. Gleichzeitig möchte ich natürlich eine möglichst große Bandbreite an unterschiedlichen Stilistiken zeigen. Gerade die älteren Nummern sind schon sehr voll und dicht produziert. Aber lustigerweise lässt sich das doch alles auch in kleiner Besetzung gut spielen.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.
Von dem clubbigen Beginn deiner Karriere bist du mit “What We Do for Others” in eine selbst betitelte „beseelte“ Phase übergegangen. Deine letzte EP “Music from a Room Full of Synths” ist schon fast meditativ. Sagt das mehr über dich oder über den Zustand unserer Umwelt aus?
Oliver Johnson: Beides wahrscheinlich. Veränderungen in einem selbst teilt man auch mit der Umwelt. Einen Banger für den Dancefloor zu schreiben, war mir in meinen 20ern wichtiger als jetzt. Wenn man älter wird, wird man vielleicht etwas zugänglicher – oder auch seltsamer. Im Moment habe ich den Mut, mich auch an weirde Sachen zu trauen.
Eine gewisse Alienhaftigkeit war schon immer in meiner Musik. Früher war es vielleicht noch eine bewusste Entscheidung, eine abgefahrene Nummer zu schreiben. Mittlerweile ist es eher ein natürlicher, intuitiver Prozess des Gehenlassens. Das hätte ich mich so bisher nicht getraut.
Die letzte EP ist in einer zehntägigen Residency entstanden. Mein Plan war, jeden Tag eine Nummer zu machen. Da war auch keine Zeit, groß zu kaschieren oder zu retuschieren.
Zudem hast du das ja auch mitten im Lockdown 2020 aufgenommen. Darf ich fragen, warum das erst 2024 veröffentlicht wurde? Es kam ja sogar noch ein Album dazwischen.
Oliver Johnson: Das hatte unterschiedliche Gründe. Zunächst gab es Stau im Presswerk. Danach hat es einfach nicht mehr reingepasst, und ich entschied mich, es erst später zu veröffentlichen. Es war aber eine schöne Sache. Danke an Manuel Oberholzer (Feldermelder) für die Einladung an dieser Stelle. Er war meine Bezugsperson für meinen Aufenthalt am SMEM (Swiss Museum and Centre for Electronic Music Instruments). Das ist schon fein, wenn die ganzen Instrumente nicht nur Ausstellungsstücke sind, sondern auch produktiv genutzt werden können.
Hast du dich verliebt?
Oliver Johnson: Mehrmals. Da gibt es schon ein paar Biester, über die man sich auch zu Hause sehr freuen würde – einen Memorymoog oder dergleichen. Aber ich habe dennoch gemerkt, dass ich mit einfachen Synths am besten harmoniere: dem Roland SH-101 oder dem Yamaha CS-30. Beides sind analoge Monosynths, letzterer hat noch einen abgefahrenen Sequencer eingebaut. Man könnte sagen, entweder ganz weird oder ganz simpel – das sind die Welten, in denen ich mich gerne bewege.
Und der MicroKorg dient jetzt als Staubfänger?
Oliver Johnson: Haha, ja. Ganz interessant für mich rückblickend, dass ich die ersten zehn Jahre immer nur auf diesem einen Synth gespielt habe. Die letzten zehn Jahre war dann der Roland SH-101 an der Reihe. Ich habe also immer recht lange Beziehungen zu meinen Synthesizern gepflegt. Aber nur so kann man ein Gerät wirklich gut kennenlernen.
Das wollte ich gerade sagen. Das hat dir zusätzlich auch zu einem markanten Wiedererkennungswert verholfen. Zudem bist du jemand, der seine Fingerfertigkeit weniger an den Tasten, sondern vielmehr über die spezifischen Modulationsmöglichkeiten des Synthesizers praktiziert. In Anbetracht der Tatsache, dass Synthesizer oft sehr individuelle Funktionsweisen haben, kann ein Synth-Museum vielleicht sogar überfordern, oder?
Oliver Johnson: Stimmt. Da kann man natürlich nur an der Oberfläche kratzen. Ich habe mich überraschen lassen.
Arbeitest du auch mit Plugins, oder ist das verpönt?
Oliver Johnson: Haha. Nein. Ist nicht verpönt, aber ich brauche schon Knöpfe zum tweaken, keine Maus.
„Ja, in der heutigen Zeit findet schon viel Gear Fetischismus statt.”
Das spricht schon sehr für deine Musikalität, dass dir die Spielbarkeit offensichtlich wichtiger ist als der Sound. Oft werden gewisse Vintage-Synths ja regelrecht glorifiziert.
Oliver Johnson: Ja, in der heutigen Zeit gibt es schon viel Gear-Fetischismus. Das sieht man in der Fotografie genauso wie im Film. Ich verstehe das schon ein wenig – ein Teil von mir ist davon auch immer fasziniert. Früher habe ich für meine Konzerte immer einen Wurlitzer benutzt, obwohl ich wusste, dass es natürlich mühsam war, ihn nach dem Konzert und ein paar Bier wieder in den Proberaum zu bringen. Spannender finde ich mittlerweile aber eher Kuriositäten, die es nicht zum Kultgerät geschafft haben – vielleicht, weil sie etwas unbequem zu programmieren waren.
Das sind aber oft die Geräte, die gut gealtert sind. Sie haben ihre spezielle Charakteristik behalten – quasi verkannte Genies, die erst Jahre später ihre Stärke offenbaren.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.
Und damit wir nicht auch dem Gear Fetischismus verfallen, reden wir doch über den musikalischen Approach während dieser Residency? Denn stilistisch schlägt die EP schon in eine andere Kerbe. Wann war ein Song fertig für dich?
Oliver Johnson: Ich wollte es schon auch ein wenig offen lassen. Dass es nicht so richtig zuordenbar ist, empfand ich ähnlich wie du. Aber das Ziel war, den Tag für diesen Song zu nutzen. Am nächsten Tag fange ich ein neues Projekt an. Mit zeitlichem Abstand habe ich dann aber beschlossen, die Songs so zu belassen und nicht mehr einzugreifen. Das hat das Ganze dann auch sehr fotografisch gemacht und dokumentiert, was dort passiert ist. Je länger ich Musik mache, desto mehr komme ich drauf, dass man sich als Kreativer auch zwischen sich und die Musik stellen kann. Anders ausgedrückt: Ich habe bislang sehr oft den Kopf beim Musikmachen eingeschaltet. Ich war auf der Suche nach dem besten Resultat.
Diesmal habe ich mit diesem Projekt die Ergebnisse als Momentaufnahme stehen lassen. Das hätte ich früher noch als Demo bezeichnet. Ich kann Sachen jetzt schneller abschließen, indem ich sie quasi naturbelassen lasse. Wenn ich die Ästhetik verstehe, muss ich nicht mehr zwangsweise zwei Tage am Mix sitzen oder aufwändig mastern. Die Intuition steht im Vordergrund.
“[ich] habe (…) bislang sehr oft den Kopf beim Musik machen eingeschaltet.”
Denkst du dabei gar nicht mehr daran, inwieweit das Publikum es versteht, oder bist du der Überzeugung, dass es deinen Fans automatisch gefallen wird, insofern du den Vibe spürst?
Oliver Johnson: In früheren Zeiten war die Außenwirkung schon noch zentraler. Ich habe Clubmusik gemacht. Da denkt man automatisch an das Set und das gemeinsame Erlebnis. Oftmals war das für mich aber auch eine Sackgasse, zu viel darüber nachzudenken, was wem gefallen könnte. Entweder ich habe mich dabei ertappt, mich selbst zu imitieren, oder es war wenig spannend. Interessantere Sachen entstehen erfahrungsgemäß dann, wenn ich weniger darüber nachdenke. Sobald ich es für mich gemacht habe, entstand paradoxerweise auch eine Verbindung zu den Hörern.
Da ist aber natürlich immer eine Gratwanderung. Man könnte es auch eine Gratwanderung zwischen Pop und experimenteller Musik nennen. Der experimentelle Aspekt war für mich nie ein elitärer. Eher der, nach neuen Möglichkeiten zu forschen. Diese Erkenntnisse in einen poppigen Kontext zu bringen, finde ich eine spannende Aufgabe. Ich bewege mich da immer hin und her. Das Experimentieren ist aber nach wie vor das, wobei ich am meisten Freude verspüre. Wenn ich also über die Meilensteine in meiner Karriere nachdenke, freut es mich am meisten, dass ich einfach immer noch wirklich gerne Musik mache.
Gabs mal eine Phase, in der es nicht so war?
Oliver Johnson: Natürlich gibt es als Selbstständiger immer Jahre, in denen es mal schlechter läuft, und somit kommt die Frage nach Kompromissen auf. Zum Glück habe ich immer einen Weg gefunden, dass es für mich spannend bleibt. Und das schätzen auch meine treuen Fans. Die folgen mir nicht, weil sie einen bestimmten Sound von mir bekommen. Ich war froh, das Glück zu besitzen, das machen zu können, was ich wollte.
Was würdest du gerne in Zukunft ändern?
Oliver Johnson: Ich möchte auf jeden Fall regelmäßiger Musik veröffentlichen. Ich habe noch so viel vor. Und ich möchte weniger für mich behalten und es lieber teilen, um auch etwas hinterlassen zu können.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.
Welche musik-wirtschaftliche Veränderung der letzten 20 Jahre war für dich am prägendsten?“
Oliver Johnson: Am gravierendsten sind für mich die Veränderungen in den sozialen Medien. Myspace war ein Ort, an dem sich Kreative untereinander vernetzen konnten. Das hat sich aber irgendwann eher wie ein Ort für Menschen angefühlt. Das ist jetzt nicht mehr so. Natürlich auch sehr undurchsichtig durch die Algorithmen und die Drosselung der Reichweite. Es ist ein geschlossenes System, und man muss sich immer anpassen, um gehört zu werden. Das ist eine Sackgasse, und ich weiß nicht, wie oft ich den Satz noch hören kann: ‚Das ist jetzt so.‘ Denn irgendwann reicht das als Antwort nicht mehr, und man muss sich dann schon fragen: Wer tut das denn, und wo führt das hin?“
„Und was ist deine Konsequenz daraus?“
Oliver Johnson: Die Online-Welt ist einfach nicht so beständig wie die echte Welt. Das muss man vermutlich so akzeptieren. Ich habe das auch bei meiner Recherche für das ‚20 Jahre Dorian Concept‘-Konzert gemerkt. Es gibt tatsächlich Lücken in den 00er- und 10er-Jahren. Man verliert ein Handy, oder ein PC geht kaputt, und viele Erinnerungen sind verschwunden. Auch alte Webseiten können mit der ‚Wayback Machine‘ nur bedingt wiederhergestellt werden. Alte Software, Designs und Templates verschwinden sang- und klanglos. Natürlich könnte man das irgendwie schon am Leben erhalten, aber es bedarf dann auch der Pflege. Die analogen Fotos aus Kindheitstagen liegen im besten Fall noch bei den Eltern irgendwo.
„Diese Plattformen haben das Menschsein ein bisschen komplizierter gemacht.”
Durch die Schnelllebigkeit bekommen wir vermutlich oft auch gar nicht mit, wenn Sachen verloren gehen. Manchmal entdecke ich in alten Chatverläufen hin und wieder ein paar Schätze, die man eigentlich schon fast vergessen hat. Manche Sachen suche ich gezielt, und die sind nach 50 Software-Updates einfach nicht mehr wiederherstellbar.
Oliver Johnson: Das bringt einen in eine neue Verantwortung, herauszufinden, was für einen wichtig ist. Man muss sich Sachen auf die Seite legen, die einen auch in 20 Jahren an diese Zeit erinnern. Ich bin sehr froh, dass ich die Musik veröffentlicht habe. Das ist mein öffentliches Tagebuch. Diese Plattformen haben das Menschsein ein bisschen komplizierter gemacht. Und genau das wird jetzt einfach wieder wichtiger für mich.
Dennoch bist du im Moment leider weniger auf Tour als früher. Oder hat das eher familiäre Gründe?
Oliver Johnson: Das liegt, glaube ich, eher daran, dass Booker nicht genau wissen, für was sie mich derzeit buchen sollen. Es ist vielleicht zu vielseitig im Moment. Letztes Jahr habe ich zum Beispiel mit Mona Matbou Riahi und Manu Mayr das Internationale Jazzfestival Saalfelden eröffnet. Dann mit dem Klassik Ensemble Deutschen Symphonie-Orchester Berlin ein Konzert im Haus des Rundfunks gespielt. In Polen habe ich einen Stummfilm vertont.
Ich habe vor, wieder klare Akzente zu setzen. Der Fokus liegt auf meinem Solo Set mit minimalistischem Setup. Das braucht vielleicht noch etwas Zeit, bis das durchsickert bei Venues und Promotern.
Hinweis: Mit dem Abspielen des Videos laden sich sämtliche Cookies von YouTube.
Die Akzente braucht es bestimmt. Apropos. Gibt es als Abschluss noch eine Geschichte zu deiner vorletzten Single “Hide-CS01 Version”? Die setzt auf jeden Fall in Sachen Klickzahlen einen Akzent auf Streaming Portalen.
Oliver Johnson: Ich hatte einen TikTok Hit. Nachdem ich vor drei Jahren dort einen Account erstellt und meine alten Performance Videos hochgeladen habe, wurde das Audio von vielen anderen Usern für deren Videos verwendet und millionenfach geklickt. Dann habe ich beschlossen, ihn auch über Spotify zu veröffentlichen.
Fast zu schön, bei all der besprochenen Skepsis über Soziale Medien. Es ist aber ein schönes Ende für unser Interview. Ich bedanke mich für das interessante Gespräch und wünsche dir weiterhin alles Gute.
Dominik Beyer
++++
20 years of Dorian Concept
Freitag 21. Februar 2025 I 21:00 Uhr
Wiener Konzerthaus, Mozart-Saal
++++
Links:
Dorian Concept
Dorian Concept (Instagram)
Dorian Concept (TikTok)
smem