14. KOFOMI in Mittersill: Farben (Nachbericht)

14. KOFOMI in Mittersill: Farben (Nachbericht)Wolfgang Seierl, Hannes Raffaseder & Team ist zu gratulieren. Das 14. Komponist(inn)enforum Mittersill stemmte diesmal nicht weniger als acht (!), stilistisch durchaus sehr unterschiedliche “Residenz-Komponisten”, dazu noch Werke zweier Ebenfalls-Komponisten des ensemble reconsil, das beim Schlusskonzert die gerade erst fertig stellten Werke in Ur- und Erstaufführungen grandios realisierte. Dazu noch toll   besetzte Gastspiele (etwa Franz Hautzinger, Pia Palme, Martin Siewert und Manfred Hofer),  Foto- und bildende Künstler (Inge Dick, Helmut Christof Degn), ein Schülerworkshop (u. a. gestaltet von Cordula Bösze), Kinovorführungen und ein spannendes Symposion.

Hier noch einmal alphabetisch die geladenen Teilnehmer, zwischen 10. und 20. September sämtlich wohnhaft am Schachernhof hoch über Mittersill: Peter Ablinger (A/D), Roland Dahinden (CH),Marcel Saegesser (CH), Inge Dick (A),Koji Nakano (USA) im Rahmen des Austauschprogramms des Virginia Center for the Creative Arts, Dariusz Przybylski (PL), Reinhold Schinwald (A), Marko Ciciliani (NL), Marianna Tscharkwiani (GE/A). Die meisten von ihnen spielten auch in den Erholungspausen sehr gut Tischtennis, den Berichterstatter jedenfalls haben sie allesamt in den Matches immer geradezu vernichtend geschlagen.

Das Ensemble reconsil Vienna (A) spielte unter Roland Freisitzer in einer höchst interessanten und viele Möglichkeiten bietenden Besetzung: Julia Purgina an der Viola, Maria Frodl auf dem Violoncello, Alexander Wagendristel  an den Flöten (von Piccolo bis Bassflöte), Thomas Schön an Klarinette, Bassklarinette und Tenorsaxophon.

Durch die Einbeziehung des BORG Mittersill als Veranstaltungsort (neben dem ebenfalls architektonisch gelungenen Nationalparkzentrum Hohe Tauern) waren heuer bei den Veranstaltungen auffallend viele Schülerinnen und Schüler zu sehen, die auch zum Teil als Mitwirkende bei Konzerten einbezogen wurden und unter Leitung kundiger AnimatorInnen Workshops machten. “Klangmaschinen Maschinenklang” unter der Anleitung von  Cordula Bösze war auch in einer SchülerInnen-Workshoppräsentation im BORG vom dazu eingeladenen Kofomi-Publikum zu bestaunen. Die Protagonisten aus den 6. Klassen waren den Geräuschen und Klängen elektrisch betriebener Geräte auf der Spur, zeigten in einer Staubsaugerperformance kreativen Umgang mit Alltagsgeräuschen. Höhepunkt war das von einem Schüler geleitete Handy-Orchester. Auf Zeichen spielten die SchülerInnen die mit ihren Telefonen aufgenommenen Klänge bzw. Geräusche ab.

Der Markt Mittersill hat erst 2006 das Stadtrecht verliehen bekommen und man merkt seinen Aufschwung, nicht nur im Touristischen. Da auch: Gleich gegenüber des BORG und des Spitals befindet sich eine wirklich sehr gute Konditorei, die auf eine Lebzeltertradition der Familie bis 1908 zurückgeht – in jenem Jahr gründete sie der Urgroßvater. Mit Eis, Torten und vor allem köstlichen handgeschöpften Schokoladen und Pralinen ist dieses Kaffeehaus sogar in den Gault-Millau-Guide aufgenommen worden. Es gibt als Spezialität auch sogenannte “Webern-Zigas” dort, Anton Webern wurde ja bekanntlich tragischerweise in Mittersill 1945 irrtümlich von einem Besatzungssoldaten erschossen.

Das Motto “Farben” und Farbklang bis hin zur Synästhetik war auch Diskussionsthema des Symposions zu Beginn von KOFOMI 2009. Am Mittwoch konnte man schon am Nachmittag auf der Bürglhütte über Stuhlfelden und dann im Nationalparkzentrum Mittersill Alexandra und Christof Dienz (war auch Residenzkomponist 2006), Barbara Romen und Gunter Schneider an Zither, Kontrabass, Hackbrett und Gitarre erleben und hören, nachmittags eher mit tollen “Nummern”, abends dann mit einer über einstündigen völlig freien Improvisation “Quadrat.sch” ist der schöne Name dieser Gruppe zweier Paare.

 

 

Franz Hautzinger (Vierteltontrompete), Pia Palme (Subbassflöte), Martin Siewert (Gitarre) & Manfred Hofer (Kontrabassgitarre) kriegten nach einer Alle 4-machen miteinander Musikimprovisation – Vorstellungsrunde in ihrer “Nacht der experimentellen Musik” durch Los mitgeteilt, mit wem von den Partnern sie im Duo und dann im Trio spielen sollten. Indem sie durch Ziehen der jeweiligen Namen aus einem Hut ausgelost wurden, dazu Farben als Improvisationsvorgaben: einmal “Rot”, dann eben “Grün” usw. Wobei ich Franz Hautzinger in der Konzert-Pause fragte, ob man sich bei einer freien Improvisation unter “Rot” was vorstellen könne als Musiker. Oder ob einem etwa nicht mehr unter “Rote Bar” oder aber “Bordellrot” oder “rotes Bauchweh” – György Ligeti hatte schon als Kind Farb-Unterscheidungen seines Bauchwehs vorgenommen – einfiele, wenn’s schon außermusikalische Vorstellungen sein sollen .

Der “ein klang-Kinoabend” am Donnerstag (ebenfals im BORG)  brachte Filme von Daniela Tagger, Helmut Christof Degn und Claudia Rohrmoser. Die junge Daniela Tagger stammt aus der Region im Pinzgau, aus dem nahe gelegenen Kaprun, studiert an der Angewandten in Wien; sie verbrachte ein Jahr in Indonesien und zeigte ihre dort gemachten höchst eindrucksvoll montierten Augenzeugenprotokolle der dortigen Ureinwohner und ihrer Hand- und Fingerfertigkeit beim Weben, bei Turnierspielen, bei Rauchzeremonien. Helmut Christof Degn zeigte ein Video aus dem Jahr 1979(!), er war   im Rahmen der damaligen “Wiener Festwochen-alternativ” im 20-er Haus ein wirklicher Pionier der Ton-Licht-Installation, lang vor der Erfindung von Computer- und anderen digitalen Tricks. Caudia Rohrmoser illustrierte in ihrem Video das Gewebe einer Musik von Morton Feldman.

Das Schlusskonzert

Am Samstag, 19. September konnte das große Abschlusskonzert des 14.KOFOMI eindrucksvoll die Atmosphäre und Dynamik dieses Forums vermitteln. Das Ensemble reconsil hatte sich ordentlich ins Zeug gelegt und in den Tagen vor dem Konzert bis zum letzten Moment die einlangenden Partituren und Spielanweisungen geprobt und mit den Teilnehmern erörtert. Wenn man das Vergnügen hatte, bei den Proben, die zwei Tage vor der absoluten Deadline – dem Konzert eben – begannen, dabeizusein und zu hören, wie ausgezeichnete Interpreten den Stücken den letzten Schliff geben, bekommt man viele Einblicke, worauf es bei der Musik, zumal der aktuellen, ankommt. Die Stücke waren alle duchwegs gut, wenn auch von unterschiedlicher Qualität, und irgendwie urteilte eben dann auch das (faire aber kundige) Publikum mit mehr oder weniger Applaus, wie das, was der Komponist ausdrücken wollte, angekommen ist. Ohne dem gäbe es wahrscheinlich keine Weiterentwicklung, kein Fortschreiten. Noch etwas lehrt KOFOMI – ja, es gibt hierzulande verschiedene Ensembles, die sich jeweils auf ihre ureigene Art Neue Musik anverwandeln. Es gibt nicht nur das (führende) Klangforum Wien, sondern auch Gruppen, die andere Akzente setzen können. Das OENM war da vor einigen Jahren, und jetzt eben das Ensemble Reconsil, das Erfahrung, aber auch Hingabe und Draufgängertum für jede der gebotenen Anmutungen bedingungslos einsetzte. Und unter Roland Freisitzers sehr sachdienlichem, klaren und uneitlen Dirigat eben saugut spielte. Bravo! Es wurde ein guter Abend. Und die Abfolge des Programms, federführend, zielsicher vom Ensemble Reconsil genau richtig geplant, war wie sie sein soll.

 

 

Dariusz Przybylski, *1984 in Konin/Polen, studierte zwischen Warschau und Deutschland pendelnd u. a. bei Wolfgang Rihm und veranstaltet in Warschau derzeit selbst Konzerte mit Neuer Musik mit. Er machte den Anfang mit seinem Stück, dem er den Titel “Bagatellen” gab, eine aus einem Grundton entstehende Sammlung von kleinen Stücken “im Scherzo-Charakter”, eine virtuose Herausforderung für die Musiker. Starker Auftakt.

Der junge Reinhold Schinwald, * 1977 in Salzburg, Student an der Uni Graz u .a bei Haas, Gadenstätter, Utz, Furrer und Pierluigi Billone, verfolgte in seiner Komposition die Gegenpole approximation – displacement, gefolgt von dem Schweizer Roland Dahinden (skizze mittersill – ein “Klangraumprozess” für Viola und Elektronik). Flötist Alexander Wagendristel fand neben der Proberei sogar zwischendurch in Mittersill noch irgendwann Zeit zum Komponieren: Der in Bälde (Dezember) stolze Vater eines Kindes widmete das Stück “Birthday” diesem pränatal zum Geburtstag, gleichzeitig als eigentliche Widmungsträgerin seiner Frau, die in diesen Tagen gerade Geburtstag hatte. “Wie bei mir immer, ist das Tonmaterial aus der Obertonreihe entwickelt und die sehr präsente rhythmische Komponente möglichst vielschichtig mit Polymetrik, Heterophonie und Hoquetustechniken angelegt”, schreibt Wagendristel in seiner Programmnotiz zum Stück.

Vor der der Pause dann noch Peter Ablingers “Selbstportrait mit Mittersill” genanntes dreiteiliges Stück ohne die reconsil-Instrumente, dafür aber mit Kindern aus Mittersill. In einer kurzen Einführung erläuterte Ablinger sein Stück selbst. Teil I bestritten 3-6-jährige Kinder, die auf Kommando einer 13-jährigen Sprecherin einander farbige Luftballons (rot, gelb und blau) nach bestimmten Regeln zuwerfen mussten, die von niemand anderem als von Anton Webern stammten. Ablinger nannte die Gruppe “The Anton Webern Balloon Orchestra”, den schwierigeren Teil der seriellen Operationen bestritt eine andere Orchesterbesetzung aus einer Mittersill-Komponistin und Komponisten. Das ebenfalls dreiminütige Mittelstück könnte man – so Peter Ablinger – ein “Adagio” nennen: Es waren die von ihm von der Terrasse im Schachernhof aufgenommenen – ganz schön lauten und lang gezogenen – Autofahrgeräusche auf der Pass Thurn-Bundesstraße ober- und unterhalb des Bauernhofs. Der dritte Teil war eine wunderbare Selbstperformance. Auf einer Holztischplatte zwölf Gegenstände (wie Stift, Mappe, Krug, Obstschale,  Ferngucker), die bei Hin- und Herschieben jeweils verschiedene Tonhöhen und Geräuschqualitäten aufweisen. Anhand dieses Schiebens (erst einen hin und wieder her, dann zwei, dann drei . bis auch der zwölfte Gegenstand mitspielt) demonstrierte Ablinger eindrücklich die Operationen, die eine Zwölftonreihe ermöglicht – samt Umkehrungen dieser Operationen – also die “hin” geschobenen Gegenstände – mit dem letzten beginnend wieder zurück (“her”). Man sollte so etwas beim Musikunterricht in Schulen zeigen. Dann versteht jedes Kind auf Anhieb, was Reihentechnik heißt und warum serielle Komponisten und deren Exegeten etwa einst in Darmstadt viel in Partituren “gezählt” haben, um auf Konstruktionsprinzipien eines solchen Stückes draufzukommen. Chapeau!

Die im Raum auf die Galerien – nicht sichtbar – verteilten Musiker/innen des ensemble reconsil antworteten mit rhythmischen Passagen auf feine, sehr ziselierte und intime, bereits aufgenommene  Klänge aus Lautsprechern – das war die “Zwischenraumstudie” von Marko Ciciliani (* 1970 in Kroatien, derzeit in Amsterdam freischaffender Komponist und Elektronik-Performer). Koji Nakano (*1974 in Japan) interessierten in Mittersill die dramatischen Wechsel des Wetters in den Bergen und die zerstreuten, auch in verschiedene Richtungen auseinanderfliegenden Wolken: “Scattered Clouds / Dramatic Sky” erfordert eine Art “kontrollierte Improvisation” auf eine jeweils notierte musikalische Idee von den Instrumentalisten.

 

 

Maria Frodl und Alexander Wagendristel spielten wunderbar das Duo “Nocturne II . à la recherche d’une mélodie oubliée” (komponiert schon 2008) von Roland Freisitzer, und besonders im Schlussteil des Stücks, wo abwechselnd das Cello ganz hoch, die Flöte sehr tief leise einsetzt und sich das “Suchen” den ganzen Tonraum der Instrumente gegeneinander von oben nach unten bzw. von unten nach oben schraubt, erlebte mancher Zuhörer die sprichwörtliche euphorische Gänsehaut, eine Erlebnis-Verzückungsspitze (frei nach Nietzsche).

Die aus Tbillissi/Georgien kommende Marianna Tscharkwiani (*1972), die nunmehr in Wien lebt, versuchte sich in “Light Echoes” an der Musikalisierung von Lichterscheinungen (vermeintlichen Bewegungen) im kosmischen Staub eines sterbenden Sterns, Marcel Saegesser (* 1984 in Bern) kontrastiert den Violaklang von Julia Purgina mit einem Sinusgenerator (“süden für julia”). Für Alphorn, Elektronik und drei Lautsprecher dann sein gemeinsam mit Roland Dahinden gebautes Schlussstück des Abends “zustand mittersill”.

Den konnte man des Nachts im Schachernhof nur mehr ausgiebig an den ausgezeichneten Schnäpsen (Obstler, Birne, Vogelbeere) laben, viel Spaß miteinander haben und beim Nachschub-Holen sich vom Altbauern Langer, dem Züchter und Bewahrer der Original Pinzgauer Rinderrasse, darüber aufklären lassen, warum sein Wein aus Hohenruppersdorf im Weinviertel kommt (“steiniger Boden ist viel besser als Lehmboden”). Und: “Alles was langsamer wächst in der Natur ist besser, das ist schon beim Holz so .”. Vor lauter Gaudi und “G’scheiter und Blöder” mit dem KOFOMI-Hof-Fotografen Kurt Hörbst aus Apfoltersbach bei Freistadt in Doppelconfèrence  spielen, vergaß die verbliebene Runde ganz darauf, dass in der letzten Nacht um ½ vier Uhr früh im Stall ein “Stierl” das Licht der Welt erblickte. Wieder mal was versäumt. Aber nächstes Jahr kommen wir bestimmt wieder!
Heinz Rögl

Fotos © Kurt Hoerbst,  KOFOMI.com

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