Mit dieser Serie bündelt mica – music austria die Erfahrungen und Sichtweisen von Frauen im Musikbusiness. Warum „100 Prozent“? Weil Gleichstellung zu 100 Prozent anstrebenswert ist… und es immer noch viel zu tun gibt. Dieses Mal im Interview: die Kontrabassistin und Komponistin Judith Ferstl.
Welche Personen/Institutionen/Förderprogramme haben dir auf deinem Weg im Musikbusiness weitergeholfen?
Judith Ferstl: Ganz wichtig waren zu Beginn meine Geigenlehrerin und mein Kontrabasslehrer in der Musikschule. Die beiden haben mir ein Grundvertrauen in meine Musik gegeben und die Neugierde angefacht, immer mehr entdecken und ausprobieren zu wollen.
Danach am allermeisten meine Kolleg:innen, mit denen ich in verschiedenen Bands zusammenarbeite.
Nach und nach war das mica eine immer wichtigere Anlaufstelle für offene Fragen. Leider habe ich davon aber viel zu spät erfahren! Diese Infos, Workshops und Beratungsgespräche hätte ich mir schon in meiner Studienzeit gewünscht.
Besonders Weiterempfehlungen z.B. von Renald Deppe und Hannes Löschel waren sehr wichtig für mich. Und natürlich auch Förderungen wie z.B. das SKE-Stipendium, Start-Stipendium, SKE-Fonds und Kompositionsförderungen – wichtige Unterstützungen um kreativ arbeiten zu können!
„An den Unis muss außerdem mehr passieren. Mir hat damals viel Praxis-Wissen gefehlt.“
Wie und wodurch hast du Erfahrung im Musikbusiness gesammelt? Was waren die größten Hürden und wie konntest du sie überwinden?
Judith Ferstl: Am meisten durchs Tun und dadurch entstehende offene Fragen. Ich denke aber, es gibt immer noch zu viel versteckte Infos, die man „einfach weiß“, bzw. die Eingeweihte wissen. Ich würde mir noch mehr Transparenz wünschen. An den Unis muss außerdem mehr passieren. Mir hat damals viel Praxis-Wissen gefehlt. Ich denke, es verändert sich aktuell einiges, aber da wäre noch viel möglich.
In welcher Form wurdest auf deinem Karriereweg unterstützt? Wo hättest du dir (mehr) Unterstützung gewünscht?
Judith Ferstl: Es fehlt immer noch an Musikvermittlung an Schulen im Bereich Improvisierter Musik & Komposition! Ich hätte mir gewünscht, schon viel früher mehr damit in Berührung zu kommen. Mich hätte das sehr interessiert, ich hätte wohl schon viel früher zu Komponieren und Improvisieren begonnen.
Zum Glück haben mich immer wieder viele Menschen ermutigt, da waren bestimmt unter anderem auch Sommer-Jazzworkshops, wie z.B. in Schönbach, von sehr großer Bedeutung.
Ich wurde schon relativ früh über Stipendien und Förderprogramme unterstützt. Die Selbstzweifel, diese nur bekommen zu haben, weil ich eine Frau bin, haben allerdings einige Jahre angehalten.
„… es tut sich wahnsinnig viel und die Jazz/Musik-Szene Wiens ist gerade sehr inspirierend.“
Hattest du selbst passende Role-Models in deinem Umfeld, an denen du dich orientieren konntest? Welche Role-Models gibt es in Hinblick auf Frauen im Musikbusiness aktuell? Was kannst du selbst weitergeben?
Judith Ferstl: Vor allem als Jugendliche hatte ich leider viel, viel zu wenige! Aber es tut sich wahnsinnig viel und die Jazz/Musik-Szene Wiens ist gerade sehr inspirierend. Aktuell sind es vor allem die Kolleg:innen um mich herum, die wahnsinnig spannende Musik machen und interessante Projekte organisieren.
Ich selbst kann wohl vor allem die Selbstverständlichkeit weitergeben, als Musikerin aktiv zu sein. Generell finde ich es spannend, junge Musiker*innen und Musiker für Projekte zu engagieren und sie weiter zu empfehlen.
„Warum kann ich der Sängerin in meiner Band keine zusätzlichen Mittel für Babysitter-Kosten bei einer Tour anbieten?“
Welche Rolle spielt das Alter für dich?
Judith Ferstl: Ich bin überrascht, wie wenige Förderungen es für Menschen ab 35 Jahren gibt. Warum sollte man ab diesem Alter keine Förderungen erhalten? Warum können viele Musiker:innen ihre Herzensprojekte teilweise nur über Einnahmen durch einen Unterrichts-Job oder andere berufliche Tätigkeiten finanzieren?
Das Alter spielt außerdem eine Rolle, wenn es um Familienplanung geht. Warum fehlen in der Musikszene Österreichs so viele Musikerinnen im Alter zwischen 30-40 Jahren? Warum kann ich der Sängerin in meiner Band keine zusätzlichen Mittel für Babysitter-Kosten bei einer Tour anbieten?
Was würdest du dir für eine diversere Musikszene wünschen?
Judith Ferstl: Mehr Offenheit für Neues! Ich habe das Gefühl es wird viel zu viel Altes wiederholt und auf „Bewährtes“ gesetzt. Ich wünsche mir mehr Mut über Genres hinwegzusehen und das Publikum mit spannender frischer Musik zu bereichern.
Wie schon oben genannt: Finanzielle Unterstützung für Kinderbetreuung auf Tourneen.
Mehr Geld für Clubs, Festivals & Veranstalter:innen, damit sich auch hier endlich etwas tut und Veränderung möglich ist! Viele haben keine Kapazitäten, zu wenig Zeit und Budget, um sich in Ruhe die vielen spannenden Bands anzuhören und zu buchen, – und diese auch fair zu bezahlen.
Fair Pay! Auch für größere Besetzungen. Ich kann nicht verstehen, warum man in einer Band mit fünf Personen oft weniger verdient als in einer Band mit vier oder drei Personen.
Welche Fragen wurden dir häufig gestellt, die einem Mann niemals gestellt werden würden?
Davon gab es leider viele.
„Kontrabass? Ist das nicht schwer zu tragen und zu spielen? Geht das mit so zarten Fingern denn überhaupt?“
Generell wurde ich oft, wenn ich mein Instrument nicht bei mir hatte (z.B. bei Sessions) zuerst für eine Sängerin gehalten. „Was singst du denn für uns?“
„Du bist Musikerin? – Also Sängerin?“
„Wie ist es als Frau Musik zu machen?“
Aber auch Männer in meinem Umfeld, wurden oft gefragt: wie ist es mit (vier) Frauen auf der Bühne zu stehen?
Diese Fragen werden allerdings viel seltener. Es hat sich in den letzten 10 Jahren einiges getan und es gibt bei vielen Menschen endlich ein Bewusstsein dafür, dass die Selbstverständlichkeit von Frauen auf der Bühne längst angekommen ist und darüber keine Fragen mehr gestellt werden müssen.
Ich möchte keine „Vorreiterin“ sein, sondern inmitten einer gleichgestellten Szene aktiv sein und mich auf die Musik konzentrieren.
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Konzerte:
12.5.2023 / Vronihof, Wien
“Merve” Release Konzert
25.6.2023 / Porgy & Bess
Judith Ferstl / Andrej Prozorov / András Dés
& 12 Kontrabässe
15.6.2023 / Musikverein, Gläserner Saal
„Wiener Stimmen“, mit Basma Jabr
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