100 Prozent: Ingrid Schmoliner

Mit dieser Serie bündelt mica – music austria die Erfahrungen und Sichtweisen von Frauen im Musikbusiness. Warum „100 Prozent“? Weil Gleichstellung zu 100 Prozent anstrebenswert ist… und es immer noch viel zu tun gibt. In diesem Interview spricht die Musikerin, Komponistin, Veranstalterin und Pädagogin Ingrid Schmoliner über ihre Erfahrungen im Musikbusiness.

Welche Personen/Institutionen/Förderprogramme haben dir auf deinem Weg im Musikbusiness weitergeholfen?

Ingrid Schmoliner: Zum Teil konnte ich mich gut über mica – music austria informieren. Beim Bund und bei der MA7 bekommt man auch Auskunft zu den einzelnen Ausschreibungen und Förderstrukturen. Teilweise waren es Kolleg:innen, die mich glücklicherweise in bereits geförderte Anträge einsehen haben lassen.

„Leider muss ich das hier so klar sagen, dass ohne eine noch bessere Förderlandschaft die Selbstausbeutung ein riesiges Thema bleibt.“

Wie und wodurch hast du Erfahrung im Musikbusiness gesammelt?

Ingrid Schmoliner: Ich glaube, das Einzige, das wirklich hilft, ist „los zu gehen“ und Erfahrungen zu sammeln. Wenn man es mit diesem Berufswunsch wirklich ernst meint, wird man auch weiterkommen. Natürlich musste ich hier auch ganz klar die rosarote Brille absetzen. Es sollte klar sein, dass man konstant Zeit und Mühe in seinen Wunsch investieren muss und dieser Aufwand leider sehr oft nicht entlohnt wird.

Zusätzlich braucht man auch Kapital, um in sich als „Produkt, das quasi marktfähig ist“ zu investieren. Leider muss ich das hier so klar sagen, dass ohne eine noch bessere Förderlandschaft, die Selbstausbeutung ein riesiges Thema bleibt. Das innovative Arbeiten bleibt wohl dem besseren Mittelstand vorbehalten, oder man entscheidet sich doch, in Wellen in sehr prekären Verhältnissen zu existieren – oder in einer konstanten Überarbeitung und im Burnout. Dieser Prozess hat mich dazu gebracht, aktiv bei dem Think Tank mitderstadtreden ca. zwei Jahre lang mitzuarbeiten. Die prekäre Situation war einfach für uns, die wir freiberuflich im gegenwärtigen Bereich und in der Innovation arbeiten, unaushaltbar – auch schon vor Covid.

Was waren die größten Hürden und wie konntest du sie überwinden?

Ingrid Schmoliner: Die größten Hürden sind tatsächlich die fehlenden finanziellen Ressourcen, da leider noch immer viel zu wenig berücksichtigt wird, dass wir als Kunstschaffende unsere Fixkosten abzudecken haben. Wenn wir krank werden, sind wir ohne Anstellungsverhältnis überhaupt nicht abgesichert, und leider auch Welten davon entfernt, uns eine Zusatzversicherung leisten zu können. Wie zum Beispiel eine Arbeitsausfall-Versicherung. Es ist für mich nie möglich gewesen, Geld zu sparen, um über schwierige Zeiten zu kommen. Zusätzlich sind für infrastrukturelle Aufwendungen Gelder notwendig. Es fehlt dramatisch an leistbaren Proberäumen mit einem guten Flügel und anderen Instrumenten vor Ort.

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Die „Fleckerlteppich“-Förderstruktur schafft viele Stunden zusätzliche Büroarbeit und führt bei größeren Projekten, die man als einzelne Kunstschaffende vielleicht auf Schiene bringen wollen würde, sehr oft trotzdem nur zu einer wiederholten Selbstausbeutung. Die Förderhöhen sind oftmals viel zu niedrig angesetzt. Dann muss man gleich wieder einen Verein gründen, um an höhere Fördersummen zu kommen.

Dann fehlen vor allem im Musikbereich passende Produktionsfirmen, die solche Projekte auch in einem kleineren Rahmen gut betreuen könnten. Selbst wenn es sie gäbe, könnte man sie mit den Fördergeldern nicht entsprechend entlohnen. Es fehlt vor allem in unserer Sparte an Personen, die den Mehrwert darin sehen, auch in den Sparten zeitgenössische/improvisierte/experimentelle Musik wie auch Jazz und elektronische Musik Management und Booking zu übernehmen, oder kleine Agenturen zu gründen und unsere Szene ausreichend zu vertreten und international gut zu arbeiten.

„Eine ganzheitliche – weltoffene – umfassende Kulturpolitik hilft massiv.“

In welcher Form wurdest du auf deinem Karriereweg unterstützt?

Ingrid Schmoliner: Was mir am meisten hilft, sind Gelder, um meine Existenz zu sichern und die Möglichkeit zu haben, zu arbeiten. Bei mir waren es Förderpreise, ein Startstipendium, ein Staatstipendium, Kompositionsförderungen, Projektförderungen, Produktionskostenförderungen, Reisekostenförderung, die SKE, der Österreichische Musikfonds und der deutsche Musikfonds.
Veranstalter, die an die Qualität meiner Arbeit glauben und mich daher immer wieder einladen.
mica – music austria hilft!
Ein offener Diskurs in der eigenen Szene, der zu mehr Stärke, Zusammenhalt und Bewusstsein führt und unsere Themen und Probleme auch zu den Politker:innen bringt und verhandelt.
Eine ganzheitliche – weltoffene – umfassende Kulturpolitik hilft massiv.

Wo hättest du dir (mehr) Unterstützung gewünscht?

Ingrid Schmoliner: Ich wünsche mir – noch immer – endlich eine infrastrukturelle Stärkung der freien Musikszene. Proberäume, die leistbar sind, oder wie nach dem Vorbild in Berlin über eine Vereinsstruktur laufen und mit sehr geringen Kosten buchbar sind.
Natürlich mit Instrumenten wie Flügel, Schlagwerk etc. vor Ort.
Ich wünsche mir noch immer Unterstützung für Booking/Social Media/Einreichungsarbeit.
Ich habe viel zu wenig Zeit, um wirklich künstlerisch zu arbeiten.
Pressearbeit, die nicht nur am Mainstream interessiert ist.
Radiosendungen, die auch tagsüber einen Platz für ein diverses und innovatives Musikprogramm schaffen und es für die Konsument:innen auch möglich machen, einen „leichten“ Zugang zur und Eindruck von der Vielschichtigkeit der österreichischen Musikszene zu bekommen.

Ich bin als Künstlerin und als Privatperson an Authentizität, Mitgefühl, Innovation und Tiefe interessiert, und das lebe ich und gebe ich hoffentlich auch weiter.“

Hattest du selbst passende Role-Models in deinem Umfeld, an denen du dich orientieren konntest? 

Ingrid Schmoliner: Ich hatte Kolleg:innen, die mir mit Erfahrungsberichten und auch mit Einsicht in Förderanträge geholfen haben. Role-Models waren in dem Sinn alle Kunstschaffenden, die trotz schwieriger Rahmenbedingungen ihre innovative Arbeite auf internationale Bühnen bringen konnten. Role-Models waren und sind für mich Personen, die authentisch agieren, eine Meinung haben, die nicht zwangsläufig in Stein gemeißelt ist, und bereit zu einem Diskurs sind. Menschen, die bereit sind, auch das größere Ganze zu sehen.
Auch wenn sie das Leben nur zu einem kleinen Teil kontrollieren und beeinflussen können, sich die Neugier, Lebenslust und Mitgefühl erhalten können.

Welche Role-Models gibt es in Hinblick auf Frauen im Musikbusiness aktuell?

Ingrid Schmoliner: Frauen, die ihre Wahrheit über ihre Lebensrealität sprechen, und nicht total verbittern. Man darf nicht vergessen, dass wir noch immer in einer sehr von Männern dominierten Welt existieren, und das macht es wirklich nicht einfacher, Missstände aufzuzeigen. Auch wenn alle sagen, dass es eine Meinungsfreiheit gibt, ist diese doch durch dieses bestehende Ungleichgewicht irgendwie zensiert.
Das schwingt einfach mit.

Was kannst du selbst weitergeben?

Ingrid Schmoliner: Ich bin als Künstlerin und als Privatperson an Authentizität, Mitgefühl, Innovation und Tiefe interessiert, und das lebe ich und gebe ich hoffentlich auch weiter.

„Durch Social Media gibt es aber leider einen immer größeren Hype um Stereotypen …“

Welche Rolle spielt das Alter für dich?

Ingrid Schmoliner: Alter bedeutet für mich Lebenserfahrung wie auch künstlerische Qualität und Schärfung der Arbeit. Alter hat doch eine Lupenfunktion. Leider ist das Alter aber auch speziell bei Frauen ein Thema. Junge, attraktive Menschen – mit ihnen werben Veranstalter*innen ja gerne. Wenn vor allem eine Frau zwischen 40 und 60 ist, kann es schon sein, dass man einfach nicht mehr gebucht wird, weil Innovation gleichgesetzt wird mit neu und jung und bevorzugt mit elektronischer Musik.

Tatsache ist – zumindest für mich –, dass Innovation mit Präzision, Tiefe und Erfahrung einhergeht. Durch Social Media gibt es aber leider einen immer größeren Hype um Stereotypen – hübsche, gestellte Profile, oftmals androgyn wie auch sexualisiert, welche gut provozieren können. Sex sells, youth sells – auch im Kunstbereich.

Was würdest du dir für eine diversere Musikszene wünschen?

Ingrid Schmoliner: Mehr Zusammenhalt, Vernetzung und vor allem mehr Bühnen in Wien/Österreich (mit Klavier) für gegenwärtige Musikströmungen, die auch ausreichend Honorar für ihre gesamte Infrastruktur und für die Künsterl:innen bezahlen können und wollen.
Pressearbeit, die nicht nur den Mainstream vertritt.
Im öffentlichen Radio auch für diese Sparten mehr Sendezeit.
(Wie oben bereits erwähnt.)

„Wenn man Stipendien oder Preise bekommt, bleibt da auch oft der bittere Beigeschmack, dass man eine Zusage „nur“ bekommen hat, weil man eine Frau ist – und wieder kommt die Quote ins Spiel.“

Welche Fragen wurden dir häufig gestellt, die einem Mann niemals gestellt werden würden?

Ingrid Schmoliner: Fragen waren es in dem Sinn nicht, sondern eher Feststellungen im Diskurs. Einmal hat mir ein männlicher Kollege gesagt, dass Frauen nicht so gut wie Männer arbeiten und abliefern müssten und trotzdem Einladungen bekämen, da es ja weniger Konkurrenz gäbe und die Veranstalter die Frauenquote erfüllen müssten. Wenn man Stipendien oder Preise bekommt, bleibt da auch oft der bittere Beigeschmack, dass man eine Zusage „nur“ bekommen hat, weil man eine Frau ist – und wieder kommt die Quote ins Spiel.

Das Thema Familienplanung.
Für einen Vater ist es viel leichter, als Künstler trotz Kinder weiterhin im Business zu bleiben und nicht abgestempelt zu werden.Es fehlen absolut Ressourcen für Künstlerinnen, die Mütter werden wollen, auch wenn sie nicht aus einem gehobeneren sozialen Milieu abstammen und auch in dieser schweren Phase auf ein Erbe zurückgreifen können.
Ich musste daher die Entscheidung treffen, kein Kind zu bekommen und auch nicht mehr zu wollen.

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Links:
Ingrid Schmoliner
Ingrid Schmoliner (Musikdatenbank)