100 Prozent: Christina Kerschner (Nnoa)

Mit dieser Artikel-Serie bündelt mica – music austria die Erfahrungen und Sichtweisen von Frauen im Musikbusiness. Weil es noch immer viel zu tun gibt. Im dritten Teil der Serie gibt uns Christina Kerschner aka NNOA, einen Einblick in ihre Welt. Die gebürtige Niederösterreicherin steht für Alternative Pop & R’n’B mit einem Hang zu Clubsounds.

Es ist unbestritten, dass es strukturelle Probleme in der Musikbranche – und im weitesten Sinne in unserer Gesellschaft – gibt, was Geschlechtergerechtigkeit betrifft. Die gute Nachricht: Auf der Diskursebene finden feministische Perspektiven mittlerweile Eingang ins Musikbusiness, beschäftigt man sich näher mit FLINTA*s im Musikbusiness, findet man Studien, Forderungen und Förderungen. Doch wie sieht es im tagtäglichen Geschäft aus? Wie ist es um die Chancengleichheit im Alltag einer Musikerin, Komponistin, Tontechnikerin, Managerin, Labelchefin bestellt?  Wir haben nachgefragt.

Wie und wodurch hast du Erfahrung im Musikbusiness gesammelt?

Christina Kerschner: Meine ersten, sehr prägenden Erfahrungen konnte ich mit meiner ersten Band in Wien machen: Was heißt es, Musik nicht nur zu schreiben, sondern auch zu recorden, zu veröffentlichen und vor allem dann zu vermarkten? Da wir ohne Label o.Ä. veröffentlichten, mussten wir uns mit sehr vielen Dingen rund um das Musikbusiness befassen, von denen wir zum Teil noch nicht einmal etwas gehört hatten. Plattformen wie Youtube, mica – music austria oder andere Online-Workshop-Programme erleichtern diesen D.I.Y.-Weg allerdings ungemein. Das Wichtigste ist für mich jedoch der direkte Austausch mit anderen Menschen, da konnte ich oft am meisten dazulernen ( – ein heißer Tipp sind dafür Veranstaltungen wie der Musikstammtisch in Wien!)

Was waren die größten Hürden und wie konntest du sie überwinden?

Christina Kerschner: Den „Ich muss das alles alleine können”-Ansatz zu verlassen und um Hilfe zu fragen. In dieser Branche (und auch in vielen anderen) wird dir als weiblich gelesene Person nicht selten das Gefühl vermittelt, dass du wirklich stark, unabhängig und am besten allwissend sein musst, damit du überhaupt erst ernst genommen wirst. Solche Erfahrungen haben mich in der Vergangenheit enorm getriggert, ich habe mich verschlossen und wollte nie um Hilfe bitten. Mit der Zeit habe ich gelernt, dass es Dinge gibt, die ich richtig gut kann – und dass es Dinge gibt, die Andere richtig gut können. Und, dass es umso schöner sein kann und sogar Spaß macht, wenn verschiedene Menschen ihre besten Skills zusammentragen.
Ich hatte oft Angst davor, dass ich aufdringlich wirken könnte, aber mit falscher Bescheidenheit kommt man nicht voran.

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In welcher Form wurdest du auf deinem Karriereweg unterstützt?

Christina Kerschner: Die Arbeit an meinem Instrument, meiner Stimme, begann schon früh im Rahmen meiner Ausbildung an der Musikschule.

„Heute weiß ich: Musik ist nicht einfach nur ein Hobby, sondern eine der bedeutendsten Branchen unserer Wirtschaft.“

Wo hättest du dir (mehr) Unterstützung gewünscht?

Christina Kerschner: Ich habe schon sehr früh meine enorme Leidenschaft für das Musizieren und die Bühne für mich entdeckt. Leider fehlten mir in einer für mich sehr wichtigen Phase (im Alter von 17/18 Jahren) jene Personen, die mir gezeigt hätten, dass Musik sehr wohl auch zum Beruf gemacht werden kann – und zwar nicht nur in der Klassik oder als Musiklehrerin. Damals konnte ich mir den Job der Musiker:in absolut nicht vorstellen. Ich hatte keine Ahnung, dass es z.B. so etwas wie ein Jazzstudium gibt und dachte, dass ich entweder Musikschullehrerin werden oder „Musical“ studieren müsste. In beiden Bereichen habe ich mich damals absolut nicht gesehen und mich wenig später für den konservativen Weg des Wirtschaftsstudiums entschieden. Eine Entscheidung, die Eltern natürlich durchaus begrüßen. Für mich war dieses Studium aber mit extrem viel Frust verbunden. Ich habe es durchgezogen, aber gut ging es mir in der Zeit definitiv nicht. Heute weiß ich: Musik ist nicht einfach nur ein Hobby, sondern eine der bedeutendsten Branchen unserer Wirtschaft.

Hattest du selbst passende Role-Models in deinem Umfeld, an denen du dich orientieren konntest?

Christina Kerschner: Ich kannte viele Menschen, die eine Ausbildung zur Musikpädagog:in gemacht haben; so wie ich es nun auch bin. Leider aber hatte ich in meinem direkten Umfeld kaum Kontakt zu Menschen, die mich dazu inspirierten, mehr an meiner eigenen Musik zu arbeiten. Heute versuche ich, alle meine Schüler:innen stets dazu zu motivieren, nicht nur nachzuahmen, sondern sich selbst zu entdecken und Eigenes zu kreieren.

Welche Fragen wurden dir häufig gestellt, die einem Mann niemals gestellt werden würden?

Christina Kerschner: Interviewfrage nach einem Konzert mit einer Band, in der ich die einzige weibliche Person bin: „Eine Band mit fünf Männern. Hat man da als gutaussehende Frau ein leichtes Spiel?”
Außerdem bezweifle ich, dass Männern bei den Signier- und Fotosessions nach dem Konzert dermaßen oft an den Hintern gefasst wird, wie mir. Ich kann mich noch genau an das Foto mit dem Bürgermeister der benachbarten Stadt erinnern, der die Band, mit der ich unterwegs war, für das kommende Jahr buchen wollte. Selbstverständlich habe ich seine Hand sofort weggeschoben. In einer „alltäglichen” Situation, in der ich als Privatperson agiere (z.B. im Club), hätte ich ziemlich wahrscheinlich eine Szene gemacht und ihn angeschrien. In diesem Moment aber war ich so perplex. Mein einziger Gedanke war: „Bleib professionell. Du darfst jetzt nicht ausrasten, sonst wirfst du ein schlechtes Bild auf die Band”. Völlig krank, mehr kann ich dazu nicht sagen.

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