100 Prozent: Behind the Scenes – Wen Liu

Mit dieser Serie bündelt mica – music austria die Erfahrungen und Sichtweisen von Frauen im Musikbusiness. 2025 blicken wir Behind the Scenes und widmen uns den Personen, die hinter den Musiker:innen stehen. Ungeachtet vorhandener Kategorien, Quoten oder Zuordnungen braucht es uns alle um zu 100% für Feminismus einzutreten.

Welche Art von Unterstützung haben Sie dum Lauf Ihrer Karriere erhalten? Wo hätten Sie sich (mehr) Unterstützung gewünscht?

Wen Liu: Bisher habe ich hauptsächlich Unterstützung für meine Projekte als Komponistin sowie für die Leitung des Multimedia-Kollektivs Studio M.A.R.S. im Bereich Opernproduktionen durch öffentliche Fördermittel erhalten. Je nach Land der jeweiligen Uraufführung wurden öffentliche Mittel in Deutschland, Frankreich und vor allem mehrfach in Österreich bereitgestellt. Darüber hinaus sind wir Teil eines durch das EU-Programm „Creative Europe“ geförderten Projekts.

Ich wünsche mir vor allem, dass die öffentlichen Fördermittel in Österreich und in der EU nicht signifikant gekürzt werden. Wir leben in einer äußerst unsicheren Zeit, in der Kulturförderungen in vielen Ländern auf der Kippe stehen. Die kontinuierliche Unterstützung von Kunst und Kultur ist essenziell, um innovative und kritische künstlerische Arbeit zu ermöglichen.

Wie und wo haben Sie du Erfahrungen in der Musikbranche gesammelt?

Wen Liu: Ich bin ausgebildete Komponistin und arbeite seit über zehn Jahren im Bereich der zeitgenössischen Musik. 2017 gründete ich das Festival M.A.R.S. für zeitgenössische Musik und Kunst in Los Angeles, das drei Jahre lang stattfand. 2019 kehrte ich nach Österreich zurück und gründete das Kollektiv Studio M.A.R.S., um multimediale Theater- und Opernproduktionen zu entwickeln.

Wir nutzen Technologie als dramaturgisches Werkzeug und laden das Publikum ein, aktiv in unsere Narrative einzutauchen. Mit schwarzem Humor, Absurdität und Satire schaffen wir immersive Opernerlebnisse, die unsere Gesellschaft spiegeln – mutig, zugänglich und relevant. In den letzten Jahren war ich verstärkt in der Opernszene aktiv und habe intensiv mit Opernhäusern zusammengearbeitet.

Besonders in der Oper sind traditionelle Machtstrukturen weiterhin spürbar.“

Was waren Ihre größten Herausforderungen, und wie haben Sie sie gemeistert?

Wen Liu: Eine der größten Herausforderungen in meiner Laufbahn war die nach wie vor stark männlich geprägte Struktur der zeitgenössischen Musik- und insbesondere der Opernszene. Besonders in der Oper sind traditionelle Machtstrukturen weiterhin spürbar.

Als Leiter:in von Studio M.A.R.S., einem multikulturellen, weiblich geführten Kollektiv, arbeite ich in vielen Projekten mit männlichen Kollegen zusammen. Dabei treten jedoch immer wieder Herausforderungen in Bezug auf Machtungleichgewichte auf. Es ist nicht immer einfach, hier eine ausgewogene Zusammenarbeit zu gestalten.

Bei unseren aktuellen Produktionen von Studio M.A.R.S., darunter eine Oper, die für einen renommierten europäischen Opernpreis nominiert wurde, habe ich bewusst ein rein weibliches Kreativteam zusammengestellt. Diese Erfahrung hat sich als äußerst positiv erwiesen und zu einem inspirierenden und produktiven Arbeitsumfeld geführt. Dennoch bleibt es mein Ziel, langfristig eine konstruktive und faire Zusammenarbeit mit allen Beteiligten zu fördern.

Hatten Sie in Ihrer Umgebung Role Models, an den Sie sich dich orientieren konnten? Welche Vorbilder haben Frauen in der Musikbranche derzeit? 

Wen Liu: Ich bewundere viele Komponistinnen und Regisseurinnen und hatte das Glück, an zahlreichen Workshops und Diskussionen in ganz Europa teilzunehmen, die sich gezielt mit diesen Themen befassen. Dabei habe ich von vielen inspirierenden Künstlerinnen viel gelernt.

Ich denke, es ist essenziell, dass wir uns gegenseitig unterstützen. Für mich ist jede einzelne Künstlerin, die sich gegen veraltete Strukturen behauptet und neue Wege geht, ein Vorbild. Ihr Engagement und ihre Entschlossenheit sind eine große Inspiration und zeigen, wie wichtig es ist, Veränderungen aktiv mitzugestalten.

Für mich ist jede einzelne Künstlerin, die sich gegen veraltete Strukturen behauptet und neue Wege geht, ein Vorbild.“

Wie können sich Frauen (FLINTA*s) gegenseitig unterstützen und Solidarität in ihrem beruflichen Umfeld fördern? Was können Sie du an die nächste Generation weitergeben?

Wen Liu: Frauen (FLINTA*s) können sich gegenseitig unterstützen, indem sie Netzwerke aufbauen, Wissen teilen und einander aktiv fördern. Durch Workshops, Mentoring und den offenen Austausch über Herausforderungen in der Musik- und Opernszene können wir strukturelle Barrieren gemeinsam angehen.

Ich arbeite derzeit an einem neuen EU-Projekt namens HerOpera, das darauf abzielt, Komponistinnen, Regisseurinnen und Produzentinnen zu vernetzen. Obwohl wir uns derzeit in einer schwierigen Zeit befinden, dürfen wir nicht aufgeben – es ist leicht, die Hoffnung zu verlieren, aber umso wichtiger, dass wir uns gegenseitig ermutigen und unterstützen. Kunst und Kultur haben die Kraft, etwas zu verändern.

Welche Fragen werden Sie gefragt, die einem Mann nie gestellt werden würden?

Wen Liu: In meinem Fall gibt es keine spezifische Frage, die mir gestellt wird und einem Mann nicht, aber ich erlebe oft bestimmte Reaktionen. Zum Beispiel habe ich von männlichen Kollegen häufiger den Satz gehört: „Du bist zu emotional.“ Außerdem höre ich häufig von männlichen Kollegen den Satz: „Ich bin Feminist!“ – eine Aussage, die gut gemeint sein kann, aber manchmal eher als Schutzschild dient, ohne dass sich daraus eine echte Auseinandersetzung mit Gleichberechtigung ergibt.

Wen Liu ist Komponistin und Medienkünstlerin, die für ihre grenzüberschreitenden Arbeiten bekannt ist, in denen sie Musik, visuelle Medien, Tanz, Theater und Technologie miteinander verbindet, um immersive, interaktive Erfahrungen zu schaffen. Sie ist künstlerische Leiterin des Festivals M.A.R.S. (Music & Arts ReSound) und des Studios M.A.R.S. (Music Art Research Science), welche sie begründete.

++++

Links:

Website Wen Liu

Studio M.A.R.S