100 Prozent: Behind the Scenes – Sidonie Forstreiter

Mit dieser Serie bündelt mica – music austria die Erfahrungen und Sichtweisen von Frauen im Musikbusiness. 2025 blicken wir Behind the Scenes und widmen uns den Personen, die hinter den Musiker:innen stehen. Ungeachtet vorhandener Kategorien, Quoten oder Zuordnungen braucht es uns alle um zu 100% für Feminismus einzutreten.

Hattest du in deiner Umgebung Role Models, an denen du dich orientieren konntest?

Sidonie Forstreiter: Meine ersten Vorbilder innerhalb der Branche waren Sven Hartberger und Peter Paul Kainrath. Sie haben mir vieles (vor allen Dingen „Handwerk“) mit auf den Weg gegeben. Mit Zweiterem verbindet mich noch immer ein vertrauensvoller, enger Austausch; ich würde ihn sogar als Mentor bezeichnen. Ich hoffe, er ist mit dieser Rollenbeschreibung einverstanden. So jemand, am besten sogar mehrere davon, wünsche ich uns allen.

Eine Person – ich könnte da einige aufzählen –, die für mich als „Role Model“ sehr inspirierend ist, ist Julia Neupert, die beim SWR tätig ist. Sie hat unglaubliche Expertise im Bereich Jazz und die (seltene) Fähigkeit, wirklich tiefgehende und relevante Musikgeschichten zu erzählen. Für mich ist ihre Arbeit ein starkes Beispiel dafür, wie man durch Kompetenz und Leidenschaft nicht nur die eigene Karriere vorantreiben kann, sondern auch einen echten Einfluss auf die Szene hat. Ihre Arbeit stellt einen wichtigen Beitrag zur Sichtbarkeit und Repräsentation von Frauen in der Musikbranche dar. – Ihre Reihe „Jazz-Frauen | Wegbereiterinnen im Off“, gemeinsam mit Franziska Buhre, ist eine große Empfehlung und wurde 2023 übrigens mit dem Deutschen Jazz-Preis ausgezeichnet.

… wichtig ist der Austausch in Peergroups.“

Sidonie Forstreiter: Was aber – neben diesen „Vorbildern“, zu denen man ein wenig aufschaut – mindestens genauso wichtig ist, ist der Austausch in Peergroups. Ich habe das große Glück, Personen wie Wiktoria Pelzer (Leiterin von Stadtkino & Admiralkino) und andere kluge Frauen, die nicht unmittelbar im selben Betrieb arbeiten, um mich zu haben. Sie setzen sich ernsthaft damit auseinander, wie sie als Verantwortungsträger:innen agieren und eine eigene Sprache finden können. Einen neuen Umgang mit den Dingen pflegen – im Kleinen, wie im Großen. Der Austausch mit ihnen und das Sich-gegenseitige-Erinnern, angelernte Verhaltensmuster abzulegen und durch bewusste, selbstermächtigende Aktionen zu ersetzen, ist sooo wertvoll.

Was waren deine größten Herausforderungen, und wie hast du sie gemeistert?

Sidonie Forstreiter: Nach all den unsäglichen Praktika – besonders im klassischen Musikbetrieb werden Festivals ja sehr gerne mit der unterbezahlten Arbeit sogenannter „Bienen“ produziert; also junger, engagierter Frauen, die emsig ihren Lebenslauf befüllen und gewissenhaft jede noch zu absurde Tätigkeit abarbeiten, damit das Ding dann über die Bühne gehen kann – endlich in einem Arbeitsumfeld anzukommen, das Stabilität und Lernmöglichkeit bietet, war ein erster großer Schritt. Reflektierend von seinen Vorgesetzten zu lernen, ist dann retrospektiv ein Prozess gewesen, der die nächste Herausforderung, nämlich das vorhin schon kurz beschriebene „Neudenken“ vorbereitet hat. Dieses Neudenken ist ganz schön viel Arbeit, da wir fast alle (zumindest war das in meiner beruflichen Biografie so) zunächst einmal in einem von Männern geprägten Milieu zu arbeiten beginnen. Es ist, um ehrlich zu sein, eine anhaltende Herausforderung. Ganz direkt: Ich frage mich in meiner neuen Funktion als Künstlerische Leiterin beinahe ständig, wie ich in meinem männlichen Umfeld eben nicht genauso „männlich“ agieren kann und trotzdem eine gemeinsame Sprache mit denen finde, die – noch immer – tonangebend sind. Wie ich meinem eigenen Umgang treu bleiben kann, obwohl dir als Frau so oft vorgeworfen wird, „zu freundlich“, zu „umsichtig“ zu sein. Ich empfehle an dieser Stelle hier allen, Dale CarnegiesHow to Win Friends and Influence People“ zu lesen. Im Gegensatz zu dem vermeintlichen Umgang mit seinen Mitarbeiter:innen, Geschäftspartner:innen und Kolleg:innen, den es angeblich braucht um „richtig“ und „stark“ zu führen, lernt man hier zeitlose Prinzipien für eine authentische und nachhaltige Kommunikation.

Lasst uns neue Strategien entwickeln… und in ein anderes Outfit stecken.“

Wie können sich Frauen (FLINTA*s) gegenseitig unterstützen und Solidarität in ihrem beruflichen Umfeld fördern? Was können Sie/was kannst du an die nächste Generation weitergeben?

Sidonie Forstreiter: Einiges passiert bereits. Die europäische Festivallandschaft im Bereich der zeitgenössischen Musik transformiert sich langsam. Es gibt vereinzelt Gelegenheiten zum informellen Austausch. Ich wünsche mir, dass sich das etabliert und über die Jahre wirklich zu einem stabilen Netzwerk heranwächst.

Ich bin 35 und sehe mich noch nicht ganz dazu berufen, der „nächsten“ Generation etwas weiterzugeben. Vielleicht möchte ich an meine eigene Generation appellieren: lasst uns neue Strategien entwickeln, nicht die seit Jahrzehnten gelebten kopieren und in ein anderes Outfit stecken. Und an die Generation vor mir: lasst uns von euch lernen!

Sidonie Forstreiter ist seit 2022 künstlerische Leiterin des Ensembles Studio Dan.

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