10 Jahre Wohnzimmer Records

Runde Geburtstage werden von der gesamten Menschheit seit jeher mit großer Ambivalenz betrachtet. Die Einen freuen sich wie ein Honigkuchenkuchenpferd darauf, ihr geradzahliges Bestehen auf Erden gebührend zu zelebrieren, die Anderen wiederum versuchen möglichst wenig Hehl um ihr eigenes Dasein zu veranstalten. Prinzipiell zählen die drei Betreiber des heimischen Labels Wohnzimmer Records zu letzterer Gruppierung. Seit mittlerweile 10 Jahren sorgt die Plattenfirma mit Sitz in der Hauptstadt Wien für die Verbreitung hochwertiger Indie-Musik made in Austria. Zur Freude einer großen Fangemeinde. Für Kerstin Breyer, Lelo Brossmann und Peter Winkler gibt es somit keinerlei Grund Bescheidenheit an den (Geburts-)Tag zu legen. Feste müssen schließlich gefeiert werden wie sie fallen! Wohnzimmer Records lud daher an insgesamt vier Tagen zur großen Jubiläums-Sause ins Chelsea, wo von den unterschiedlichsten Labelkindern Gratulationen in musikalischer Form ausgesprochen wurden.

Eine Dekade ist es also nun schon her, als das Wohnzimmer aus dem Erdboden gestampft wurde. Besser gesagt aus dem Erdberg-Boden der Arena Wien im Jahre 2002, wo gerade das 7. Wiegenfest von FM4 gefeiert wurde. Mag es an der inspirierenden Atmosphäre gelegen haben oder nicht, Tatsache ist, dass Kerstin und Lelo an besagten Geburtstagsabend nach langer Konsolidierungsphase endlich den Entschluss fassten, ein eigenes Label zu Gründen. Ausschlaggebender Punkt war ein Tape der befreundeten Band Zuka, deren Song „Kult“ als Grundstein des Wohnzimmer-Ausbaus betrachtet werden kann. Der großen Musikaffinität des Label-Trios verdanken wir seitdem eine tolle Selektion österreichischer Bands, die es im Laufe der  letzten 10 Jahre geschafft haben, auf der Wohnzimmer-Couch Platz zu nehmen. Der Backkatalog des Labels liest sich so facettenreich wie kein anderer. Wer sich da kein persönliches Gustostückerl herauspicken kann, dem ist musiktechnisch gesehen wohl nicht mehr zu helfen.

Von Alternative-Rock bis hin zu „Zurück in die Vergangenheit“- Sixties Garage reicht die eindrucksvolle Palette, aus der der glückliche Soundsammler schöpfen darf.  Von einem speziellen Wohnzimmer-Aushängeschild kann bei der großen Auswahl hervorragender Formationen gar nicht die Rede sein, insbesondere da jede einzelne gesignte Band für sich selbst steht. Oder wie etwa könnte man das kultige Humor-Duo Christoph und Lollo in Vergleich zu den deutschsprachigen Indie-Rockern von Kreisky oder den etwas schrägen Retro-Rock’n’ Rollern rund um Wild Evel and the Trashbones stellen? Eben.

Das austro-amerikanische Rock-Trio Destroyed But not Defeated, deren Debütalbum erst vor wenigen Tagen auf Wohnzimmer veröffentlicht wurde, ist ebenso Teil der großen Labelfamilie, wie Sing-Sonwriter Ben Martin oder die Austro-Indieaner The Beautiful Kantine Band, Petsch Moder und Shy. Wie es zur Auswahl dieser bunten Mixtur an heimischen Musikern kam, ist schnell erläutert. Denn  Lelo Brossmann , Peter Winkler und Kerstin Breyer verfolgen gezielt eine einzige Prämisse:  Die Musik der jeweiligen Künstler muss allen drei Labelbetreibern gleichsam gefallen und überzeugen. Mit viel Gespür und Leidenschaft wühlt sich das Trio also durch eine Vielzahl an Promotapes. Hunderte Zusendungen pro Jahr machen die Auswahl schwierig. Und um den Ansprüchen aller Drei gerecht werden zu können, kann es schon mal passieren, dass es Jahre ohne neuen Label-Zuwachs gibt.

2012 zeigten sich die Geister der Musik gnädig und schickten einige Neuzugänge ins Rennen. Unter  ihnen Paradies der Tiere, ein Projekt der beiden Musiker Franz Reisecker (Lichtenberg, Trio Exklusiv) und Wolfgang Schlögl (I-Wolf, Sofa Surfers), sowie die blutjunge Rockformation The Boys You Know. Dass Wohnzimmer Records mit viel Leidenschaft und Professionalität agieren, zeigt sich im Umgang mit ihren Künstlern. Längst haben sich die Betreiber von der Utopie befreit, von ihrer Labelarbeit, die auf Produktions-, Promotion- und Vertriebsebene stattfindet, leben zu müssen. Kommerziell vielversprechende Musik wird also nicht wie bei vielen Mitbewerbern lieblos auf den Markt geworfen. Stattdessen steckt Wohnzimmer ihr Herzblut in den Aufbau jedes einzelnen Musikers und greift dankbar auf Förderungen des SKE-Fonds der Austro Mechana und des Österreichischen Musikfonds zurück.

In Zeiten, wo die Tonträger-Verkaufszahlen ins bodenlose sinken, muss man sich neuen Ideen bedienen. Im Juni machte sich Wohnzimmer Records erstmals eine neue Label-Politik zu Nutze und bietet ihren Künstlern nun auch die Möglichkeit, auf Wunsch nur Vinyl zu veröffentlichen. Zukunftsdenken lohnt sich! Wohnzimmer bleibt weiterhin in Bewegung und man darf sich auf  weitere 10 Jahre österreichischen Musikinput freuen, der ganz gewiss weiterhin auf höchstem Niveau stattfinden wird. (bw)