GOTTFRIED ZAWICHOWSKI ist Leiter der Musikfabrik Niederösterreich, die sich seit 18 Jahren um die Förderung der dortigen Musikszene, ihrer Protagonisten und Formationen bemüht. Im Interview mit Lucia Laggner erzählt Zawichowski von den Erfolgen, der diesjährigen Ausschreibung und den Vernetzungen innerhalb der niederösterreichischen Kulturlandschaft. Er sieht, ungeachtet steigender Aufgeschlossenheit der Bevölkerung gegenüber allen Genres, die Zukunft des österreichischen Musikraumes in Gefahr.
Ganz allgemein gilt die Musikfabrik Niederösterreich als gemeinnütziger Verein, der Menschen und Institutionen, die sich mit (vorwiegend gegenwärtiger) Musik beschäftigen, bei deren Tätigkeit unterstützt. Wie sieht das anhand von Beispielen bzw. Ihrer laufenden Arbeit aus?
Gottfried Zawichowski: Unsere Hauptarbeit läuft unter dem Branding “Musik aktuell – neue Musik in Niederösterreich”. Dieses Konzept, das einen ganz klaren Aufbau hat, wurde vor 18 Jahren entwickelt. Ihm liegt zu Grunde, dass in jedem Kalenderjahr ein künstlerischer Leiter eingeladen wird. Im laufenden Jahr ist das der Big Band-Leader Alois Aichberger, im nächsten wird es die Musikjournalistin Irene Suchy sein. Dieser künstlerische Leiter oder Intendant wird gebeten, ein Thema zu entwickeln. Irene Suchy etwa hat für das Jahr 2015 das Thema “Vom Entdecken der Hände” vorgeschlagen, in dem es um Gesten, Posen und Gebärden gehen soll. Zu dieser Projektausschreibung, die im Frühjahr ins Netz gestellt und auch per Post verschickt wurde, sind Künstler aus der gesamten Datenbank der Musikfabrik eingeladen worden, sich Projekte zu überlegen. Unsere Datenbank ist offen, jeder kann sich hier einschreiben. Mittlerweile umfasst sie etwa 1000 Künstler und Künstlerkollektive. Bis Juli sind circa 130 Einreichungen bei uns eingetroffen. Das hat uns überrascht, da es Themen gibt, die womöglich populärer sein könnten, so wie etwa 2013 das Thema Groove. Wir in der Musikfabrik verstehen den Begriff der zeitgenössischen Musik als sehr offene Angelegenheit, die nicht nur avantgardistisch und intellektuell zu sehen ist. Umso erfreulicher ist es daher, dass auch dieses Jahr so viele unterschiedliche Projekte eingereicht wurden. Die 60 Ausgewählten sind in einer Mappe zusammengefasst, um sie an niederösterreichische Veranstalter zu versenden, die dazu ermutigt werden, diese Formationen zu buchen. Wir fördern jede Beauftragung zu 50%. Um das noch zu erleichtern, veranstalten wir am 9.Oktober um 18:30 an der Donauuniversität Krems am Zentrum für zeitgenössische Musik eine Präsentation, in der Irene Suchy ihre Auswahl vorstellt. Am Ende unserer Arbeit stehen Kooperationsverträge zwischen der Musikfabrik und den Veranstaltern, die Erstellung eines Jahresprogramms und einer Website. Dann kann das Jahr 2015 im wahrsten Sinne über die Bühne gehen. Die letzten 18 Jahre geben uns Recht. Wir haben über 1000 Konzerte mit zeitgenössischer Musik gefördert.
„Jeder Ort hat seinen Gemeindesaal“
Das mica beschäftigt sich im Jahre seines 20-jährigen Bestehens mit der Annahme “Musik braucht Raum”. Wie steht es um dieses Postulat in Niederösterreich?
Zawichowski: Ich finde dieses Schlagwort “Musik braucht Raum” sehr sinnvoll. Was könnte Musik noch brauchen? Ok, Geld, aber das ist ein Totschlagargument, da jeder Geld benötigt. Musik braucht Distribution. Der CD-Markt ist tatsächlich zusammengebrochen, nicht einmal Online wird gekauft. Die Ratlosigkeit, wie es in puncto Distribution weitergehen soll, ist groß. Als ich 20 Jahre alt war und mir Platten gekauft habe, bin ich damit nach Hause gegangen als würde ich einen Schatz tragen. Ich habe sie abgestaubt, gebürstet und die Nadel darauf gelegt. Das war eine wirklich große Freude. Heute ist der gleiche Sound nichts mehr wert. Was ich allerdings wirklich merke ist, dass Musik Raum benötigt. Ich bin erstaunt, wie viele Menschen noch zu Konzerten gehen. Es bleibt ein sinnliches Erlebnis, wo man sich austauschen kann. Das Veranstaltungswesen ist nicht derartig niedergegangen wie das Tonträgerwesen. Die Gagen sind meiner Meinung nach anständig. Natürlich braucht es auch die öffentliche Hand, aber Musiker können in Österreich von ihren Auftritten leben. Das liegt vermutlich auch daran, dass mittlerweile jeder kleinste Ort einen brauchbaren Gemeindesaal besitzt. Die Veranstaltungskalender sind gefüllt. Das sehe ich sehr positiv.
Ein Raum alleine ist oft recht schwach und man sieht am Beispiel Linz, wo sich einige Spielstätten, Lokale und Clubs zusammengeschlossen haben, dass gerade die Bündelung zum Erfolg führen kann. Wie sieht das in Niederösterreich aus?
Zawichowski: Das ist eine nicht leicht zu beantwortende Frage. Es gibt sichtbare Netzwerke. Die Niederösterreichische Kulturwirtschaft (NÖKU) besteht aus vielen Teilgesellschaften. Das wurde vom Land so geplant und finanziert. Da kann man nicht direkt von einem künstlerischen Zusammenschluss sprechen, sondern eher von einer wirtschaftlichen Zweckgemeinschaft. Abgesehen von dieser hochprofessionellen Ebene sind mir kaum Netzwerke und Dachverbände bekannt, obwohl es echte Bestrebungen gibt, etwa die Niederösterreichische Kulturvernetzung. Deren Job ist es, Kulturveranstalter auf allen Ebenen an einen Tisch zu bringen. Ich habe das Gefühl, dass die Kulturarbeiter vor Ort Individualisten sind. Der Kulturvereinsobmann einer Gemeinde ist dort Intendant und will nicht, dass jemand von außen kommt und ihm die Welt erklärt. Warum soll er sich mit einem Kulturverein 100 km entfernt vernetzen? Er braucht nicht mehr als einen Raum und Projekte. Das ist wiederum das, was wir in der Musikfabrik tun. Wir vermitteln, aber wir lassen die Menschen vor Ort werken, denn daraus speist sich ihr Engagement.
Kein Rock im Musikverein
Sind Sie der Meinung, dass im Musikraum Österreich Genredurchmischung stattfindet?
Zawichowski: Ehrlich gesagt kann man lang nicht mehr von Grabenkämpfen sprechen wie das früher der Fall war. Zu meiner Studienzeit gab es beispielsweise kein Institut für Popularmusik. Das hat sich erst in den 80er und 90er Jahren gegen schärfste Widerstände durchsetzen lassen und das ist Harald Huber zu verdanken. Heute erkenne ich, dass die meisten Musiker sehr breit aufgestellt sind und unterschiedlichste Genres beherrschen. Im Musikverein wird man zwar nach wie vor nur selten Jazzklänge hören, aber das ist auch ok. Wenn ich ein Jazz- oder Rockkonzert hören will, dann gehe ich woanders hin. Die Gesellschaft ist diesbezüglich sehr offen geworden.
“Singen sie noch oder beschäftigen Sie sich schon wirklich mit Musik?”
Quo vadis Musiklandschaft Österreich? Können sich junge Kreative hier gut entfalten?
Zawichowski: Wenn ich an die Zukunft denke, habe ich ein sehr schlechtes Gefühl. Das bezieht sich auf die musische Ausbildung unserer Pflichtschullehrer. Durch die Veränderung des Lehrplans und die Aufwertung der pädagogischen Akademie zu den pädagogischen Hochschulen ist der Bereich der musischen Ausbildung – insbesondere in der Volksschule – stark zurück gegangen. Der stehende Satz lautet: “Singen sie noch oder beschäftigen sie sich schon wirklich mit Musik?”. Das halte ich für eine bildungspolitische Katastrophe, die sich auf Generationen hin auswirken wird. Wenn man den Kindern das Singen und die Musik wegnimmt, dann nimmt man ihnen den Zugang zu einer essentiellen Kulturtechnik. Wenn ich einem Kind das in der Schule vorenthalte, dann singt es womöglich vier Jahre im Unterricht kein Lied. Das Musikschulwesen in Österreich ist zwar sehr gut, aber das muss man sich leisten können. Sowohl zeitlich, das Kind hinzubringen und abzuholen, als auch finanziell. Das führt zu einer Zweiklassengesellschaft. Wenn es zur Ganztagsschule kommt – dafür bin ich -, dann sind die Musikschulen vor eine neue Herausforderung gestellt. Dort herrscht schon jetzt an Samstagen Hochbetrieb. Da sehe ich große Probleme auf uns zukommen.
Text: Lucia Laggner
Fotocredits: Gottfried Zawichowski
Die Diskussions- und Vortragsreihe mica focus wird unterstützt durch die Abteilung für Wissenschafts- und Forschungsförderung der MA7 Wien.