Die JUNGE OPER WIEN unterstützt Jugendliche dabei eigenes Musiktheater zu produzieren. Im Frühling 2016 entwickelten SchülerInnen des Diefenbachgymnasiums in Wien „… ohne mich?!“ aus Schostakowitschs „Die Nase“. Philip Röggla sprach mit Axel Petri-Preis, dem Leiter des Projektes.
Ein Projekt – viele Sichtweisen
Dieses Interview gehört zu einem Zweiteiler. Wir wollten mehrere Aspekte des Projektes beleuchten und nicht nur jene fragen, die vermitteln, sondern auch jene die diese Vermittlung erfahren. Wir haben daher einerseits mit einigen der KünstlerInnen des Projektes gesprochen – Jugendlichen aus dem Diefenbachgymnasium – und andererseits mit Axel Petri-Preis, dem leitenden Musikvermittler bei dem Projekt.
Zum Interview mit den Jugendlichen geht es hier: www.musicaustria.at/musikvermittlung/junge-oper-wien-die-jugendlichen/
Das Interview mit Axel Petri-Preis
Junge Oper Wien – Können Sie das Projekt einmal in den Grundzügen skizieren?
Axel Petri-Preis: Die Junge Oper Wien ist ein Response-Projekt, d.h. wir gehen immer von einer aktuellen Produktion der Neuen Oper Wien aus und entwickeln dann mit den Jugendlichen gemeinsam ein eigenes Musiktheater. Die ersten drei Jahre haben wir zusammen mit dem BORG Mistelbach das p[ART]-Stipendium bei KulturKontakt Austria bekommen.
Walter Kobéra, dem Intendanten der Neuen Oper Wien, und mir ist es sehr wichtig, dass wir einen Akzent auf gesellschaftspolitisch relevante Themen mit Bezug zur Gegenwart setzen. So waren es bei der Arbeit zu „Lilith“ von Peter Eötvös oder bei „Judith“ von Judith Unterpertinger z.B. die Position der Frau in der Gesellschaft, oder die Frauenbilder von Lilith und Eva im heute.
Jetzt im 5. Jahr haben wir den Fokus, auch angesichts der Flüchtlingskrise, auf das Thema „gesellschaftliche Anerkennung, Aufnahme in die Gesellschaft und Asyl“ gelegt. Da passt die Nase von Schostakowitsch gut. Die Zusammenarbeit mit dem extrem engagierten LehrerInnen-Team der Kulturwerkstatt im Diefenbachgymnasium hat uns die Möglichkeit gegeben noch weiter von vorne anzufangen als vorher. Vorher hatte ich ein Libretto aus dem Original destilliert, diesmal haben die SchülerInnen das Libretto verfasst – nur eben mit einer Aktualisierung des Stoffes.
Als Ihr mit den Jugendlichen zu arbeiten begonnen habt, hatten sie das Libretto schon an der Schule geschrieben?
Axel Petri-Preis: Genau. Der Ablauf des Projekts war ein bisschen anders, als in den vier Jahren davor. Bis dato wurden die SchülerInnen erst nach ihrer eigenen Arbeit mit dem konkreten Werk konfrontiert. Sie kannten aber die Thematik und haben sich über ihre eigene Arbeit dem Originalwerk genähert. Das war dieses Jahr aus rein organisatorischen Gründen nicht möglich.
Unterstützung oder Anleitung?
Sie haben zuerst Schostakowitsch‘ Werk „Die Nase“ gesehen. Die LehrerInnen haben zu „Humor in der Musik“ und ähnlichen Themen gearbeitet und dann begonnen ein Libretto zu erstellen. Das Libretto ist zu 98% von den SchülerInnen. Ich habe dann als Dramaturg noch etwas gekürzt und ein bisschen in die Wortwahl eingegriffen.
Die SchülerInnen haben erzählt Ihr hättet kaum eingegriffen – unterstützend, etwas lenkend, aber kaum inhaltlich. War das so auch Eure Zielsetzung?
Axel Petri-Preis: Grundsätzlich ist es die die Grundidee des Projektes den SchülerInnen so viel Freiheit wie möglich zu geben. Ich halte es zwar für extrem wichtig einen Rahmen vorzugeben, damit sie sich irgendwo festhalten können, aber innerhalb dieses Rahmens muss so viel Freiheit wie möglich für die SchülerInnen sein, um ihre eigenen Ideen zu entwickeln und einbringen zu können. Aber auch um ihre eigenen Fähigkeiten und Talente zu finden, zu entdecken und einzusetzen.
Wie schaut so ein Rahmen aus?
Axel Petri-Preis: Der „Rahmen“ ist ganz klar einmal ein organisatorischer Rahmen, dann ist natürlich durch das Werk ein Thema vorgegeben. Außerdem bringen die Profis, die hier mit den SchülerInnen arbeiten, ein Know-How mit, das einen gewissen Rahmen vorgibt: Was im Theater möglich ist, was aus dramaturgischer Sicht Sinn ergibt, oder wo Szenen gestrichen werden müssen, damit sich Dinge nicht verdoppeln …
Ist da dann auch ein sehr konkreter Handwerklicher Teil dabei?
Axel Petri-Preis: Ja, es ist auf jeden Fall unsere Absicht, dass das dabei ist. Das kann natürlich nur ein Streiflicht sein, da es ein punktuelles Ereignis ist. Wir glauben, dass es ein sehr intensives Ereignis ist, wo sich die SchülerInnen sehr viel mitnehmen können …
Musikvermittlung als sozial verbindendes Projekt
Es ist ein Impuls in eine Richtung, bei dem wir einfach versuchen … vielleicht ein Feuer zu entfachen, wo die SchülerInnen sagen, in diese Richtung würde ich gerne weitergehen. Wir haben die Möglichkeit auch schon geboten, dass SchülerInnen oder dieses Jahr die Flüchtlinge als StatistInnen in einer großen Produktion mitarbeiten.
Habt Ihr bewusst eine Schule in einem sozial schwachen Bezirk (Rudolfsheim-Fünfhausen – Wien, 15) gewählt?
Axel Petri-Preis: In der Ausgangssituation in Mistelbach war es eher der Gedanke, dass wir die Verbindung zwischen Stadt und Land, zwischen Zentrum und Peripherie herstellen. Nachdem diese drei Jahre vorbei waren, war es tatsächlich der Gedanke Kultur … die sogenannte Hochkultur und vor allem zeitgenössische … wo hinzubringen … wo sie nicht so präsent ist. Und deshalb haben wir im letzten Jahr in Simmering (Wien, 11) gearbeitet und dieses Jahr eben im 15. Das ist etwas, das der Neuen Oper Wien und auch mir persönlich sehr wichtig ist.
Geht es da auch um soziale Mobilisierung?
Axel Petri-Preis: Es geht mir vor allem um Teilhabe. Werner Binnenstein-Bachstein befand, dass die kulturelle Armut mindestens gleich schlimm ist wie materielle Armut. Und ich bin davon überzeugt, dass uns Ausübung von Kunst sehr viel über uns erzählen kann und uns sehr viele Impulse über uns, über unser Zusammenleben und die Themen unserer Zeit geben kann … Gerade in Gegenden wie in Simmering oder im 15. Bezirk, wo die Begegnung mit der zeitgenössischen Musik nicht so selbstverständlich ist, ist es wichtig einen Impuls zu geben und kulturelle Teilhabe zu ermöglichen, die ansonsten aus unterschiedlichen, nicht nur materiellen, Gründen einfach nicht möglich ist oder schlichtweg nicht stattfindet.
Der 15. Bezirk hat auch einen relativen hohen Migrationsanteil. In … ohne mich!? scheinen mir Themen wie Exklusion und Distinktion, die mit Migration in Zusammenhang stehen, einen wichtigen Teil einzunehmen. Hatten Sie den Eindruck, dass die Jugendlichen irgendwann das Gefühl hatten in ein vorgefertigtes Schema eingeordnet zu werden?
Axel Petri-Preis: Ich habe nicht so den Eindruck gehabt, dass es den SchülerInnen in dem Projekt so stark um Herkunft, Nationalität oder ähnliches gegangen ist … Wir hatten das im Projekt schon mitgedacht. Ich hatte auch weitergedacht, z.B. das Libretto in allen uns zur Verfügung stehenden Sprachen, und das waren einige, zu verfassen. Das haben die Jugendlichen dann nicht gemacht und das ist auch vollkommen ok – das meinte ich auch mit „eigene Ideen entwickeln und einbringen“.
Körperbild schien mir auch ein starkes Thema zu sein …
Axel Petri-Preis: Wir haben das Thema natürlich insofern hineingebracht, als die drei jugendlichen Flüchtlinge aus dem Danzer-Haus, die die drei Geister waren, nicht von den anderen DarstellerInnen gesehen werden konnten. Der Protagonist oder die Protagonistin – ich finde die Jugendlichen haben das extrem spannend gelöst – verliert seinen Körper und kann nicht mehr gesehen werden, so wie es den drei Geistern schon die ganze Zeit erging.
Ein Spiel mit Gewaltvorstellungen
Die drei machen sich auch lustig über den/die ProtagonistIn, sie sind aber auch richtig anarchisch, so auch in der Schulszene, wo sie den Mittefinger zeigen. Ich finde in dem Teil hat sich das migrantische Thema auch am meisten gezeigt: Es wirkte wie ein Spiel mit den Gewaltvorstellungen, die in die jeweils verschiedenen Richtungen projiziert werden und auch stattfinden. Ich hatte den Eindruck, dass sie super mit der Aggressivität spielen konnten und trotzdem ein sehr funktionaler Teil des Ganzen waren, so auch im Umbau auf der Bühne.
War das intendiert, dass damit gespielt wird, oder kam das von selber?
Axel Petri-Preis: Es war unbedingt so intendiert. Es war uns sehr wichtig, dass die drei gut beschäftigt sind. Sie sind im Georg Danzer Haus extrem gut aufgehoben – Dort wird darauf schaut, dass sie den Jugendlichen etwas bieten und dass sie eben nicht aus einem Mangel an Ressourcen unterbeschäftigt sind.
Die gesellschaftspolitische Dimension
Wenn wir mit einer Klasse arbeiten versuchen wir immer, dass alle Schülerinnen und Schüler etwas zu tun haben und sich einbringen können. Und so war das auch mit den drei Buben aus dem Georg-Danzer-Haus intendiert.
Die – sagen wir einmal – gesellschaftspolitische Dimension in der Inszenierung kam weniger von den SchülerInnen als von uns bzw. der Regie.
Was ist die wesentliche Ausrichtung Euren Musikvermittlungs-Projekten? Künstlerisch, Pädagogisch, Sozialpädagogisch …?
Axel Petri-Preis: Von den Zielen ausgehend ist das bei unserem Projekt sehr breit gefächert. Wir haben dabei viele sozio-emotionale Zielsetzungen, die in Richtung Persönlichkeitsbildung gehen. Im Kern ist es aber ein künstlerisches Projekt, bei dem wir auch ganz viel anderes auch ansprechen.
In den ersten beiden Dritteln des Projektes sind die Ziele zur Persönlichkeitsbildung und ähnlichem stärker ausgeprägt. Je näher es zur Aufführung geht, desto stärker rücken die künstlerischen Ziele in den Mittelpunkt, denn wir arbeiten sehr prozessorientiert.
Das Dilemma bei solchen Projekten ist aber immer, dass wir bei der Aufführung ein Publikum haben, das den Prozess nicht miterlebt hat. Die Jugendlichen profitieren vom Prozess ungemein, aber die Aufführung muss auch etwas sein, das einen gewissen Anspruch erfüllt und das das Publikum auch befriedigt nach Hause schickt. Es reicht also nicht sich alleine auf den Prozess zu konzentrieren, es muss auch eine ganz klar künstlerische Linie geben, damit dann am Ende eben auch eine gute Performance steht.
Ich war künstlerisch wie organisatorisch sehr beeindruckt …
Axel Petri-Preis: Bei solchen Projekten ist das Team einfach extrem wichtig. Da ist an erster Stelle Walter Kobéra, der als Intendant und künstlerischer Leiter bedingungslos hinter dem Projekt steht. Dann ist es so, dass seine Assistentin, Barbara Preis, eine Aufführung der Jungen Oper Wien genauso betreut und wichtig nimmt, wie eben eine Aufführung der Nase in der Kammeroper. Das ist einfach eine professionell organisierte Veranstaltung.
Beim künstlerischen Team hat sich mit der Zeit ein Kernteam herausgebildet. Wobei es mir einfach sehr wichtig ist, dass ich mit Leuten zusammenarbeiten kann, dienen ich vertraue, die mir vertrauen und bei denen ich weiß, dass sie einen guten und vor allem auch schnellen Draht zu den Jugendlichen haben. Wir sind zeitlich extrem limitiert, das heißt, es muss sehr schnell der Funke überspringen und es muss sehr schnell eine Atmosphäre des Vertrauens da sein. Gerade die Arbeit, die Leonard Prinsloo mit den Jugendlichen in der Regie macht, braucht extrem viel Vertrauen, Wertschätzung und Respekt, da das einfach eine extrem intensive, körperlich und emotional anstrengende Arbeit ist. Leonard buttert da wirklich alles hinein und die Jugendlichen spüren auch, dass das Gegenüber wirklich wertschätzend ist. Dann sind sie auch bereit alles zu geben.
Oper trifft Musikvermittlung
Die Mitglieder des Teams sind nicht hauptberuflich MusikvermittlerInnen sondern KünstlerInnen, oder?
Axel Petri-Preis: Genau so ist es. Das Musikvermittlerische an dem Projekt ist meine Aufgabe. Das betrifft nicht nur den organisatorischen Ablauf und die Kommunikation mit den LehrerInnen und den SchülerInnen, sondern ein wesentlicher Anteil meiner Arbeit ist es die KünstlerInnen so vorzubereiten, dass die Arbeit dann gut funktionieren kann. Klarerweise ist es so, dass sich mit der Zeit auch bei den KünstlerInnen Erfahrung und Routine einstellt. Aber gerade vor dem ersten Mal ist es sehr wichtig, mit den KünstlerInnen zu reden, um ihnen Hinweise zu geben, wie man arbeiten kann und was sie erwartet. Denn das ist natürlich auch für die ein bisschen ein Sprung ins kalte Wasser.
Wenig Zeit und wenig Ressourcen. Leidet Ihr an Knappheit? Wo gibt es Stellen, wo man was bräuchte?
Axel Petri-Preis: Es gibt auf jeden Fall eine zeitliche Knappheit. Das hängt einerseits mit der Struktur der Neuen Oper Wien zusammen, wo man ein extrem kleines Kernteam hat und viele Externe. Termine finden, zu denen alle können, ist schwierig, und das hängt auch damit zusammen, dass in der Zusammenarbeit einer Kulturinstitution mit einer Schule eigentlich zwei Welten aufeinander prallen. Also ganz unterschiedliche Arbeitsrhythmen und Arbeitszeiten [lacht]. Das ist auch für die KünstlerInnen eine ganz schöne Herausforderung, aber vor allem natürlich ist es auch eine große Herausforderung so ein Projekt in den Schulalltag hineinzubringen.Das bedarf dann besonders von Seiten der beteiligten LehrerInnen große Anstrengung, weil das viel organisatorischen Aufwand und damit Überzeugungsarbeit in den Schulen bedeutet. Es muss erklärt werden, was so ein Projekt für die Schülerinnen und Schüler bringen kann. Das bedarf wirklich großer Anstrengungen.
Axel Petri-Preis in den Zwischentönen 2012: koerber-stiftung.de
Seid Ihr schon in der Planung für das nächste Projekt?
Axel Petri-Preis: Unser nächstes Projekt entsteht zu Fabian Panisellos “Le Malentendu” nach einem Theaterstück des Literaturnobelpreisträgers Albert Camus. Die Premiere der Produktion ist am 21. Februar im Semper-Depot. Gemeinsam mit SchülerInnen des Gymnasiums Geblergasse (17. Bezirk) und minderjährigen Flüchtlingen erarbeiten wir in den darauf folgenden Wochen ein Musiktheater, das wir schließlich am 6. April im Probenlokal der Neuen Oper Wien präsentieren werden.
Mit Axel Petri-Preis sprach Philip Röggla
Adresse: Das Probenlokal der Neuen Oper Wien ist in der Keinergasse 19, 1030 Wien.
Zum Interview mit den Jugendlichen geht es hier: www.musicaustria.at/musikvermittlung/junge-oper-wien-die-jugendlichen/