mica-Porträt: Gerhard Wimberger

Mit Hans Alberts „Traktat über kritische Vernunft“ in den Händen entschlief Gerhard Wimberger am 12. Oktober 2016 in Salzburg friedlich im 94. Lebensjahr. Christian Heindl über einen der prägenden Komponisten und Musikfunktionäre im Österreich der 2. Republik.

Gegen die Ideologie-Hörigkeit

Geboren am 30. August 1923 in Wien, übersiedelte Gerhard Wimberger erst im Alter von vier Jahren mit seiner Familie an die Salzach, wo er seither zu Hause war. Der Arztsohn kam früh mit Musik in Berührung und erhielt seine Ausbildung zunächst am Mozarteum bei Cesar Bresgen. Während des Zweiten Weltkriegs leistete er ab Dezember 1941 Arbeitsdienst, dann Militärdienst bei der Luftwaffe bis er in amerikanische Kriegsgefangenschaft geriet. Sein jüngerer Bruder fiel noch am 1. April 1945. Wimberger einmal im Gespräch mit dem Autor: „Das Fazit aus diesen Jahren ist eine leidenschaftliche Aversion gegen Ideologie in jeder Form, weil ich am eigenen Leib miterlebt habe, wie man als Jugendlicher ahnungslos und indoktriniert ist, wenn man in einer Atmosphäre aufgewachsen ist, die eine nicht durchschaute Selbstverständlichkeit der von einem Regime vertretenen Ideologie mit sich bringt. Etwas, was man jungen Menschen gar nicht laut genug ins Bewusstsein schreien kann.“

Lehrer und Interessenvertreter

Ab Juni 1945 studierte Wimberger zunächst in Salzburg und später bei Besuchen in Stuttgart bei Johann Nepomuk David. Das Dirigentenhandwerk vermittelten ihm Clemens Krauss und Bernhard Paumgartner. Nach einer nur sechsmonatigen Tätigkeit als Korrepetitor an der Wiener Volksoper wechselte er als Dirigent und Komponist von Bühnenmusiken ans Salzburger Landestheater. Prägend wurden seine Positionen am Mozarteum als Leiter der Dirigentenklasse von 1953–81 sowie von 1968 bis zu seiner Emeritierung 1991 einer Kompositionsklasse, aus der u. a. Gerd Kühr, Michael Mautner, Alexander Mullenbach, Bartolo Musil, Ludwig Nussbichler, Helmut Schmidinger und Siegfried Steinkogler hervorgingen.

Nicht minder setzte er Akzente als Mitglied des Direktoriums der Salzburger Festspiele (1971–91) und als Präsident der AKM (1990–1998). Soweit man es von außen sehen konnte, wirkte Wimberger stets besonnen, mit Diplomatie, aber auch mit Weitblick und Beharrungsvermögen für das neue Musikschaffen und die Interessen seiner Komponistenkollegen. Dass seine Vorschläge und Mahnungen zwar gehört wurden, nicht selten aber keine Konsequenzen nach sich zogen, ist bedauerlich. Sein Befund bereits vor rund zwei Jahrzehnten: „Die geringe Beachtung, die Österreichisches in Österreich findet, ist ein ärgerlicher Zustand. Da gibt es anscheinend ein tiefes historisches Trauma“ – Eine Betrachtung, die heute im Wesentlichen unverändert übernommen werden könnte.

Der unverwirklichte „Mozart-Schilling“

Wimbergers Forderung nach einer Art „Mozart-Schilling“, das heißt einem System, bei dem auch bei urheberrechtlich nicht mehr geschützten Werken (der Musik ebenso wie der Literatur und anderer Sparten) eine Tantiemenabgabe erfolgen würde, wodurch das zeitgenössische Schaffen diesen oft ausschlaggebenden Wettbewerbsnachteil verlieren würde, konnte sich trotz des vernünftigen Ansatzes nicht durchsetzen. Die Thematik ist freilich auch fast zwei Jahrzehnte nach seinem Ausscheiden von der Spitze von Österreichs wichtigster Urheberrechtsorganisation brennend aktuell und würde angesichts der teils ungezügelten Werknutzung in den neuen Medien nach den jahrelang laufenden Auseinandersetzungen endlich konkrete und weitreichende Schritte erfordern. Die bisher gesetzten vermögen jedenfalls bei weitem nicht auszureichen.

Anerkennung in Stadt und Land

Vielfach wurde Gerhard Wimberger für sein künstlerisches Schaffen und sein Wirken für die Kunst ausgezeichnet: 1956 etwa mit dem Anerkennungspreis des Österreichischen Unterrichtsministeriums, 1967 dem Staatspreis für Komposition, 1977 dem Würdigungspreis, 1983 dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse, 1991 dem Großen Silbernen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich sowie 2003 dem Ring des Landes Salzburg. 1977 wurde er auch korrespondierendes Mitglied der bayerischen Akademie der Schönen Künste in München, eine große Zahl an Ehrenmitgliedschaften zeugte nicht minder von hoher Wertschätzung.

Hier sollte ein Bild von Gerhard Wimberger stehen
(c) Christian Heindl

Unorthodox ein breites Gebiet bestellend

Die neuesten Strömungen kennenzulernen und aktuelle Techniken zu studieren war für Wimberger immer eine selbstverständliche Herausforderung, u. a. besuchte er auch 1955 die Darmstädter Ferienkurse für neue Musik. Oberstes Primat für seine eigenen Werke hatte jedoch, dass sie auch bei Verwendung neuer Mittel immer eine vom Publikum erfassbare Tonsprache aufweisen. Im Gespräch beschrieb er seinen Stil einmal als „unorthodox, ein breites Gebiet bestellend – von ernst bis heiter. Damit auch stilistisch weitgespannt. Sich darin berufen könnend auf Sternbeispiele der Musikgeschichte. Leider wird stilistische Breite heute eher negativ beurteilt; nicht nur weil es eine Zeit von Spezialisten geworden ist, sondern auch weil nicht mehr allzu viele die Fähigkeit haben, stilistisch weitgespannt zu denken und arbeiten zu können. Den Kollegen, die auch ein Divertimento schreiben können und nicht nur apokalyptische Endzeit-Katastrophen-Aufschrei-Stücke, gilt meine Hochachtung.“

Fruchtbarer Opernkomponist

Wirklich gelten ließ Wimberger nach einer größeren Zahl an Frühwerken erst seine erste Oper „Schaubudengeschichte“ (Libretto von Eric Spiess nach Valentin Karajew, 1952/53). Sie entstand noch vor der detaillierteren Beschäftigung mit der Musik Weberns und vor dem erwähnten Aufenthalt in Darmstadt. In der Folge arbeitete Wimberger in „La Battaglia oder Der rote Federbusch“ (erneut nach einem Libretto von Eric Spiess, 1959/60) mit Zwölftonklängen. Wesentlich erfolgreicher wurde die Oper „Dame Kobold“ (Wimberger und Wolfgang Rennert nach Calderón de la Barca, 1963/64), in der er sich von seriellen Tendenzen abwandte und zu Melodie und Sangbarkeit zurückkehrte – insbesondere dieses Werk wäre sicher längst einer Neubewertung infolge einer aktuellen Inszenierung wert. Eine stete Neigung Wimbergers zur „U-Musik“ findet in „Dame Kobold“ durch Elemente des „Cool Jazz“ Niederschlag. Weitere Bühnenwerke sind u. a. die Ballette „Der Handschuh“ (1955), „Hero und Leander“ (nach Imre Keres, 1962/63) und das Kammermusical „Das Opfer Helena“ (Wolfgang Hildesheimer und Hanns Dieter Hüsch, 1967). Auch heute nicht gerade inaktuell befasst sich die Oper „Paradou“ (nach Emile Zola, 1981–85) mit der Frage des Zölibats. Das Werk aus der Taufe zu heben, wäre während der anhaltenden Diskussionen zum Thema zweifellos reizvoll. Zumal man vom Agnostiker Wimberger einen alles andere als dem doktrinären Kirchenkurs folgenden Ansatz erwarten kann. Man kann nur hoffen, dass „Paradou“ nun nach dem Tod des Komponisten nicht auf immer in der Schublade verschwindet.

Komponist in und für Salzburg

Eines der Hauptwerke aus dem vokalsinfonischen Bereich: „Memento vivere“ (1973/74) auf Texte von Kurt Marti, Abraham a Sancta Clara, Andreas Gryphius u. a.; und nicht zu vergessen natürlich jene Stücke, die für Salzburg komponiert wurden, die „Wahlheimatstadt“ und zugleich seit Jahrzehnten der zentrale Ort für Aufführungen seiner Werke. So entstand 1983 eine neue Bühnenmusik für den alljährlichen „Jedermann“, 1987 stand in der Felsenreitschule die Premiere der szenischen Chronik „Fürst von Salzburg – Wolf Dietrich“ (1985–87) auf dem Programm.

Der Genius loci Wolfgang Amadeus Mozart erhielt seine Verarbeitung u. a. in den Orchesterwerken „Divertimento für Mozart“ (1956), „Ausstrahlungen W. A. Mozart‘scher Themen“ (1978), „Nachtmusik Finalmusik Trauermusik“ (1987/88), aber auch in mehreren Schriften des Komponisten.

Die Verwendung eines Synthesizers in „Fürst von Salzburg – Wolf Dietrich“ und „Nachtmusik Finalmusik Trauermusik“ zog solistische Werke dafür nach sich: Es entstanden ein Konzert für Synthesizer und Orchester (1989) sowie drei Sonaten für Synthesizer (1990).

Fanden in den 1990er-Jahren z. B. das „Tanzkonzert“ für Kammerorchester (1992) und der Liederzyklus „Im Namen der Liebe“ (Peter Turrini, 1992) große Beachtung, so blieb Wimberger auch „in der Pension“ nicht gerade untätig. 2000/01 entstand das Oratorium „Quaestio aeterna – Deus. Fragen nach Gott“ für Bariton, Sprecher, Chor und Orchester“, ein zentrales Werk für Wimbergers Gottesbild, das zu seinem „Achtziger“ in Salzburg aus der Taufe gehoben wurde.

Bekenntniswerk und bleibende Warnung

Und auch zum „Neunziger“ gab es ein Bekenntniswerk: die bei den Salzburger Festspielen 2013 uraufgeführte „Passion Giordano Bruno“ für Bassbariton, Sprecher, gemischten Chor und Orchester (2007/13), ein Oratorium über den der Ketzerei bezichtigten und auf dem Scheiterhaufen hingerichteten Priester, Dichter, Philosophen und Astronomen, der als Nonkonformist für den Komponisten wohl auch einiges an Identifikationsmöglichkeit bietet. Mit dieser Passion liegt jedenfalls ein markantes Zeugnis dafür vor, dass Gerhard Wimberger auch im hohen Alter ein Warner vor der Vereinnahmung durch politische oder religiöse Ideologien blieb. Geistig bis zum Schluss an allen Dingen aufmerksamst Anteil nehmend, versagte schließlich der Körper dem 93-Jährigen die Gefolgschaft. Nach drei überstandenen Schlaganfällen während der letzten Monate hörte das Herz Gerhard Wimbergers am 12. Oktober zu schlagen auf.

Christian Heindl

Artikel zu Gerhard Wimberger auf musicaustria.at: www.musicaustria.at/tag/gerhard-wimberger/

Gerhard Wimberger in der mica Datenbank: http://db.musicaustria.at/node/67562