mica-Interview mit Noël Akchoté

Noël Akchoté gehört wohl zu den bedeutendsten zeitgenössischen Gitarristen der Jetztzeit. Der in Österreich lebende französische Avantgardist spielt die Gitarre nicht, er benutzt sie. Am 8. Juni eröffnet Akchoté im Rahmen des Mostly Jazz Festival in New York zusammen mit Max Nagl den Konzertabend im Austrian Cultural Forum.  

Welche waren deine ersten musikalischen Erfahrungen, die dich dann tiefer in die Materie haben vordringen lassen?

In der Volksschule hatte ich einen Freund, dessen Großeltern ein Musikgeschäft in dem Wohnblock hatten, wo auch ich lebte. Die Großmutter verkaufte Platten und Musikinstrumente, der Großvater gab Musikstunden. Ich liebte beide und bald verbrachte ich die meiste Zeit nach der Schule bei ihnen und begann Gitarrenstunden zu nehmen. Ich war damals acht. Wenig später ging ich in ein klassisches Musik-Konservatorium. Aber die Lehrer dort waren so grauenhaft, dass ich bald damit wieder aufgehört habe.

Es ist lustig über solche Sachen zu reden. Denn normalerweise halte ich mich da eher zurück und gebe Leuten einfach eine Liste mit bekannten und weniger bekannten Musikern mit denen ich zusammengearbeitet habe. Versuchen wir es einmal so: Ich komme von der klassischen Swing-Jazz-Gitarre, habe mich aber immer schon für alle Arten von Musik interessiert und diese auch intensiv gehört und studiert. Ich hörte Jazz, aber ebenso die Rolling Stones, B.B. King, Johnny Guitar Watson, Black Sabbath, John Lee Hooker, Muddy Waters, Wishbone Ash, AC/DC, Kiss, Led Zeppelin, The Jam, Bowie, Paco de Lucia, The Selectors, Level 42, Count Baise, Benny Carter, Sonny Rollins, Gloria Gaynor, Funk, Fusion, oder spanische und brasilianische Musik. Spanish Guitar, Brazilian music. Ich liebte Dalida, Henri Salvador, Jacques Brel und Serge Gainsbourg. Möglicherweise ist Rock’n’Roll die Musik, mit der ich mich am wenigsten beschäftigt habe.

Ich wollte also Musiker werden und habe jeden Tag 12 oder mehr Stunden geübt. Dann hab ich begonnen in Cafés und Restaurants zu spielen. Ich war damals noch sehr jung, schaffte es aber bald bessere Gigs in Clubs, bei Happy Hours in Fünf Sterne-Hotels, auf großen Hochzeiten und bei Bällen zu bekommen. Ich spielte dort jede Art von Musik, die je nach Ort und Anlass eine Funktion erfüllte. Es gab auch gute Kohle, aber das Beste daran war, das man mehr als vier bis fünf Stunden live spielen konnte. Und bei jedem Mal hab ich dabei mehr gelernt.

Andererseits hatte ich einen privaten Jazz-Gitarren-Lehrer (Philippe Petit) und verbrachte so fast meine ganzen Tage und Nächte mit Jazz-Musikern. Mit 16 beschloss ich die Schule zu verlassen und ein Profi zu werden. Ich wurde selber Gitarren-Lehrer, was ich gerne war. Jedoch hassten mich die meisten meiner Schüler, weil sie im Durchschnitt zehn Jahre älter als ich waren und sich von so einem Grünschnabel wie mir nicht wirklich etwas sagen lassen wollten. Das ging so bis 20 als französische Jazz-Mentoren wie Henri Texier, Louis Sclavis, Michel Portal, Daniel Humair, Aldo Romano anfingen mich zu engagieren. Aber das war ein sehr straff organisiertes System mit jeder Menge öffentlicher Subventionen. Ein System, dass ich sehr schnell zu hassen begann. Auch war diese Euro-Jazz-Szene auch musikalisch nicht wirklich mein Ding.

Für mich ging es eher um die Frage, wohin sich das alles nach dem “Tod des Jazz” überhaupt hin entwickeln sollte. Nur dieses System, in dem ich damals involviert war, interessierte sich überhaupt nicht dafür. Dort beginnst du als “Jung-Talent” mit älteren Musikern zu spielen, dann gründest du deine eigene Band und spielst bis zu deiner Pension immer dasselbe. Zu diesem Zeitpunkt hab ich schon zehn unterschiedliche Sachen gleichzeitig gemacht. Ich spielte mit Rock-Leuten, trieb mich in der Improvisations-Szene herum. Spielte bei Theateraufführungen und bei Electronic-Konzerten. Aber keine dieser Szenen kannte die andere. Das waren total abgeschirmte und in sich geschlossene Schubladen. Nur auf sich selbst fixiert und total ignorant gegenüber den anderen. Meine Reaktion darauf bestand in einem lauten und deutlichen “Nein Danke!” – noch heute gibt es Leute, die mich deshalb immer noch schneiden, weil ich so zusagen die Jazz-Szene verraten habe.

Wenig später wurde zusammen mit Quentin Rollet RECTANGLE gegründet, wo ich dann Leute wie David Grubbs und Costes traf. Lustigerweise tourte ich zuvor noch mit Sam Rivers, der ja eine Arte lebende Jazz-Historie war, weil er u.a. mit Billie Holliday, Cecil Taylor, Miles Davis, Dizzy Gillespie zusammengespielt hatte. Aber das klärte für mich auch ein für alle Male, dass es für mich unmöglich ist diese Art von Jazz-Musik zu spielen. Damit wollte ich nichts mehr zu tun haben.

Trotzdem viele Gitarristen in den letzten Jahres zu elektronischem Instrumentarium oder zu Laptop gegriffen haben, bist du der Gitarre treu geblieben. Wieso eigentlich?

Es gibt drei Grundhandlungen wie Klänge produziert werden können. Auf etwas schlagen, Luft in etwas blasen und eine Saite an etwas anbringen. Als ich circa 12 war habe ich mir selber ein Instrument mit einer Saite gebaut. Eigentlich sollte es eine Gitarre werden, aber es klang eher wie ein Bass. Damit spielte ich zu alten Swing-Platten (Count Basie, Duke Ellington, Ella Fitzgerald, Major Holley, Eddie Lockjaw Davis) aber teilweise auch zu Police und Bob Marley. Da ich dabei eher Basslinien spielte lernte ich mehr über Rhythmen und Grooves als es üblicherweise bei einer Gitarre der Fall gewesen wäre. Deshalb wurden auch Drummer wie Joe Jones und Baby Dodds plötzlich für mich wichtig. Daneben ging es natürlich aber auch um Klangfarben bzw. wie man von einem Akkord zum anderen kommt. Im Grunde nichts anderes als Derek Baileys Grundaussage, nach der jede menschliche Klanghandlung in ihren Anfängen immer aus Improvisationen besteht.

Ich habe jetzt mehr als 20 Jahre gebraucht um auf der Gitarre das spielen zu können, was ich im Kopf habe. Also werde ich jetzt, wo es mir wirklich Spaß macht und ich einiges darüber auch weiß, keine großen Veränderungen vornehmen. Ich mag das Instrument weil ich es mittlerweile so gut kenne, dass ich mit ihm hingehen kann, wo immer ich auch hin will. Egal ob es sich dabei um Stile, Genres oder der Funktion einer Gitarre als Sound-Generator handelt.

Du bist als mitunter streitbarer Verfechter einer genauen Unterscheidung zwischen “improvisierter” und “freier” Musik bekannt. Könntest du die Unterschiede konkretisieren?

Was improvisierte und frei Musik anbelangt, so handelt es sich hierbei um zwei grundverschiedene Angelegenheiten. Improvisation ist ein elementarer Bestandteil unseres täglichen Lebens. Wenn du zu einem Würstelstand gehst und dort gibt es zehn verschiedene Sorten, aber du hast keine Ahnung welche die beste ist, dann musst du improvisieren um die ultimative Wurst zu bekommen. Improvisation in der Musik ist genau dasselbe.

Free Jazz ist eine komplett andere Angelegenheit. Nimm nur den Begriff. “Jazz” steht hier für afro-amerikanische Geschichte bzw. für die Geschichte und die Unterdrückung der Schwarzen in den USA wie auch für das, was Jazz als Kunstform bedeutet. “Free” hingegen bedeutet diesen Jazz und die Leute. Die ihn machen, zu befreien und diese Botschaft den Bleichgesichtern entgegenzuschleudern. Als der Free Jazz-Pionier und Drummer Sunny Murray (Albert Ayler, Cecil Taylor, Arthie Shepp) in den 1970ern gefragt wurde, was sein Soundkonzept als Drummer sei, antwortet er darauf: “Ich möchte dass mein Becken so klingen wie wenn ein Stein in die Vitrine eines weißen Geschäfts geschleudert wird und as Glasfenster dabei explodiert.” Das ist Free Jazz!

Improvisation wurde leider plötzlich als eine Art Stil beschrieben. Aber das ist Blödsinn! Improvisation ist kein Stil, sondern eine Lebensart, ein Gegenstand, ein Faktum – etwas, was du tust. Für mich ist es einfach dumm gewisse Sachen als improvisiert und andere als nicht improvisiert zu bezeichnen. Musiker wie Chet Baker, Miles Davis, Dizzy Gillespie waren Improvisatoren. Aber heutzutage wird einfach alles unter diesem Begriff zusammengemixt. Seit ungefähr 20 Jahren gibt es nun schon eine ganze Szene von Musikern, die sich selber als Improvisations-Musiker bezeichnen, mit dem Kern der Sache aber nichts zu tun haben. Speziell in der experimentellen Electronic- und Minimal-Szene höre ich viele Leute, die echt abgefahrene und fremdartige Sounds produzieren nur leider improvisieren sie Leute nie.

Für nicht wenige hast du als “Jazz-Musiker” eine einigermaßen befremdliche Vorliebe für Popmusik. Wie ist es dazu gekommen bzw. worin siehst du Ähnlichkeiten? Jazz war doch auch mal Popmusik?

Seit ich ein Kind bin haben ich einen kleinen orangenen Plattenspieler mit dem ich stundenlang Pop-Singels abgespielt habe. Eine Single ist die perfekte Kombination aus Form und Inhalt. Jeder Song hatte seine eigene Logik und hat sie noch immer. Für mich als Kind gab es jedoch nie einen formalen Unterschied zwischen Dalida und Billie Holliday. Das waren zwei erwachsene und starke Frauen, die Songs für Erwachsene über Liebe, Verzweiflung und die Welt in der sie lebten sangen. Du warst so glücklich eine A-Seite mit dem Song zu haben, denn du wolltest und fast noch aufgeregter über das, was sich an Mysteriösem wohl auf der B-Seite verstecken würde. Es kam immer wieder vor, dass mir die B-Seite dann besser gefallen hat als der eigentliche Kaufgrund auf der A-Seite. Mit der Erfindung von CDs hat sich das einerseits in eine total visionäre Richtung hinentwickelt. Jetzt haben wir eine geradezu totale Dematerialisation von Formen, Formaten und auch Inhalten. Wir leben in einer Medien- und Informations-Welt, wo es eher um File Exchange als um “Oeuvres” geht. Du kannst so viel downloaden wie du willst. Außer Formaten wie LPs oder CDs ist alles virtuell. Ich möchte jetzt nicht einen auf Paul Virilio machen, aber er hatte schon Recht als er sagte, dass als der Lift erfunden wurde, die Stiegen getötet wurden. Wenn du mit einem Flugzeug fliegst, verlierst du die Idee des Reisens. Ich würde ja immer noch gerne mit dem Zug von Europa nach Japan reisen. Oder ein Schiff nach New York nehmen.

Aber zurück zu Popmusik. Ich höre und konsumiere Popmusik auf einem hochgradigen Level. Und ich glaube, dass Popmusik genau so behandelt werden soll. Auf eine gewisse Weise brauchen diese Song keine reflexive Sprache – sie brauchen dich eher, wie du dazu singend und tanzend in deiner Küche ausflippst.

Wenn jetzt arty farty Indie-Rock-Fans über Formate wie “Starmania” angewidert sind, dann übersehen sie auch, dass es solche Shows seit Erfindung des Radios und des Fernsehens schon immer gegeben hat. Wenn dir solche Snobs einreden wollen wie grauenvoll all das ist, dann kannst du davon ausgehen, dass sie in Wirklichkeit Pop-Musik an sich hassen. Eben weil Pop immer auch populär und damit auch ganz elementar “People” bedeutet, es also sehr wohl um die Klassenfrage geht. Und da sind sich Opern- und Indie-Rock-Fans in ihrer Ablehnung gegen Arbeiter oder Angestellte, die zu Robbie Williams unter der Dusche singen immer noch einig.

Wenn gewisse Leute glauben es sei paradox improvisierte Musik zu spielen und gleichzeitig Pop zu lieben, dann würde ich diese Frage auch gerne mal andersrum stellen. Ich glaube es ist verrückt freie improvisierte Musik zu spielen und nie Pop-Musik, oder Musik, die der so genannte Mainstream mag, zu hören. Deshalb stecken diese ganzen lahmen Avantgarde-Szenen auch in ihren kleinen, ignoranten Ghettos. Selber Schuld! Wenn ich Paris Hilton oder Robbie Williams höre ist das für mich genauso aufregend und faszinierend wie damals, als ich zum ersten Mal Michael Jackson, Amii Stewart oder Gloria Gaynor als Kind gehört habe. Ich stehe auf und beginne zu tanzen!

Was Jazz und Pop betrifft, ist die Angelegenheit eigentlich eh sehr einfach: Alle Standards sind ehemalige Broadway-Songs. Es ist eine Pervertierung des Ganzen wenn junge Jazz-Musiker dazu gezwungen sind endlose Sinnlos-Soli über irgendwelche Akkordwechsel üben zu müssen, ohne irgendeine Idee über den dahinter stehenden Song an sich zu haben. Geschweige denn, etwas davon vermittelt zu bekommen. Es ist ähnlich wie mit all den Kunstfilm-Fans, die immer über Godard reden und dabei total darauf vergessen, dass Godard selber ein gro?er Fan des Hollywood-Kinos war.

Andererseits glaube ich nicht, dass es so etwas wie Avantgarde überhaupt gibt. Das ist nur eine weitere Lüge. Jazz war immer schon Tanzmusik und Entertainment! Ich erinnere mich Don Cherry einmal in den 1980ern gesehen zu haben als er bei einem Konzert zu Tanzen angefangen hat und daraufhin einige schicke Leute im Publikum meinten, er solle sofort damit aufhören, weil sein Tanzen störend sei. Ich verstand die Welt nicht mehr. Im Moment versuchen sich ja einige Avantgarde-Bastarde in Österreich in Sachen Pop. Dazu kann ich nur sagen: Nein Danke, ihr könnt das einfach nicht! Ich denke dabei immer an Godard, der einmal bei einem Filmset zu einem Lichttechniker der ewig an den Einstellungen herumfummelte sagte: “Ich weiß du magst Kino, aber das Kino mag dich nicht.” Einfach zu sagen “Ich mache jetzt auch Pop” ist so respektlos wie wenn sich reiche Leute in die Suburbs begeben um sich dort eine funky Bratwurst aufzugabeln.

Wenn du einen Song spielst musst du dieses verdammte Ding richtig spielen. Du musst den Song kennen und ihn lieben. Und du musst das jeweilige Publikum respektieren. Wenn du auf Bällen oder Hochzeiten spielst, musst du spielen, was die Leute verlangen. Wenn du da was versemmelst, kannst du schon mal eine auf’s Maul kriegen, oder du wirst einfach gefeuert.
Wie kam es eigentlich zur Kylie Minogue-Cover-CD “So Lucky”?

Wie zuvor schon gesagt – der Grund für meine Liebe zu Pop-Songs liegt in meiner sehr nostalgischen Beziehung zu klassischen Broadway-Songs, die teilweise nur mit ihren Melodien eine Story erzählen konnten. Mein Background sind ja eher Jazz-Songs, aber bei den Kylie-Songs gab es eine neue Annäherung. Ich habe nichts neu arrangiert oder Harmonien verändert. Ich spiele nur die Melodien und die Akkordwechsel, teilweise sogar nicht mehr als den Basis-Bass. Die Herausforderung bestand darin keinen Stil nachzuspielen, sondern sich sozusagen mit Haut und Haar auf die Melodien bzw. auf eine Frau und ihre Songs einzulassen.

Und wieso Kylie Minogue?

Sie ist genau aus dem Holz gemacht, aus dem schon immer die großen, zeitlosen weiblichen Stars gemacht wurden. Sie ist sehr stark. Ich halte sie ja auch für eine große Tragödin. Sie hat die 1980er überlebt, sie hat alles überlebt! Sie ist eine Entertainerin und keine Scheiß-Künstlerin, die zu allem und jedem ihren Senf dazu geben muss. Ich wäre glücklicher in einer Welt wo es weniger Künstler, Künstlerinnen und mehr Kunst gäbe.Siehst du einen Zusammenhang zwischen den gegenwärtigen Krisen in der Welt und dem vielbeschworenem “Ende der Ideologien”?

Siehst du einen Zusammenhang zwischen den gegenwärtigen Krisen in der Welt und dem vielbeschworenem “Ende der Ideologien”?

Ich werde wirklich wütend wenn Leute auf die Strasse gehen und dann sagen, es gebe keine Ideologien mehr. Und was ist mit dem Markt? Der Markt ist die stärkste Ideologie von allen! Ich kann sehr zynisch werden, wenn Leute daran glauben “MySpace” oder “Second Life” wären alternative Medien. Für mich sind das die neuesten, aggressivsten und ultimativsten Formen des Kapitalismus. Jeder ist dort gleich, hat dieselben Rahmen und Fenster. Es ist ein totalitäres System, dass einem den freien Gedankenaustausch vorgaukelt und bei dem es jedoch nur um neue Plätze und Räume für den freien Handel geht. Die Leute vergessen immer wieder dass hinter jedem technologischen Fortschritt drei Faktoren stehen: Kriegstechnologien, Kontrollmechanismen und Totalitarismus. Das Hauptziel des Marktes ist es alles miteinander zu vermixen und zu verschmelzen. Weil wenn wir alle gleich sind, was ist dann der Feind? Alles, was davon abweicht – also sowohl individuelles wie kollektives Anderssein.

Als Künstler kommst du ja auch viel in der Welt herum. Wie verändert so ein ewiges Reisen dein Denken über die Welt und die Politik? Würdest du sagen, dass ein Konzept wie “Fusion” – wie wir es u.a. von den Proponenten der Weltmusik-Szene her kennen – ein gutes Mittel gegen Rassismus darstellt?

Rassismus ist ein Produkt aus Furcht und Ignoranz. Du hasst etwas an anderen Menschen, dass dich daran erinnert wie du selber bist, nur passt das nicht zu der Mythologie, die du dir von dir selber gemacht hast. Also musst du entweder diesen Mythos loswerden oder du schiebst alles auf die anderen und versuchst sie abzuschieben. Das führt dann zu so Blödheiten wie die Forderung, dass Ausländer in Österreich ein korrektes Deutsch sprechen müssen. Erstens spricht niemand in Österreich ein korrektes Deutsch, zweitens gibt es überhaupt kein korrektes Deutsch. Es geht nur um die Angst, sich selber als Fremder in seiner eigenen Realität zu erleben. Ex-Jugoslawien hat sich auch deshalb gespalten und untereinander bekriegt, weil alle ihren eigenen Mythos haben wollten. Aber als Fremder muss ich schon sagen, dass mir die Form historischer politischer Ekelhaftigkeit wie sie in Österreich praktiziert wird schon neu ist. So was war ich bisher nicht gewohnt. Geschichte wurde hier an die Tourismuswirtschaft verkauft.

Ich glaube jedoch nicht, dass Künstler, nur weil sie viel auf Reisen sind und dabei auf verschiedene Kulturen treffen, mehr Open Minded sind als andere Leute. Manche bereisen die ganze Welt und nehmen nichts davon mit.

Als Leni Riefensthal nach Afrika ging hat sie nur dieselben Mythen fotografiert wie zuvor schon in Deutschland. In Afrika waren die Menschen halt schwarz, aber die Bilder unterscheiden sich nicht wirklich von ihrem “Olympia”-Film. Es ist wichtig, den Anderen ihre Andererseits zu lassen. Es geht um radikale Differenz. Das schließt ja Kommunikation und den gegenseitigen Austausch überhaupt nicht aus. Wenn alle Unterschiede vernichtet sind und alle angeblich gleich sind beginnt der Faschismus. Mich interessieren Dialoge zwischen unterschiedlichen Points of View. Ich liebe es mit Leuten zu reden, deren Meinungen ich gar nicht teile. Das ist aber auch ein Teil des Problems, dass ich in Wien habe. Hier scheinen die Meisten genau solche Dialoge zwischen differenten Positionen zu hassen. Sie hören einfach auf, sagen, der ist nicht wie wir und meiden ihn.

Woran würdest du die Unterschiede zwischen den Kunst- und Musik-Szenen in Österreich und anderen Orten, an denen du auch lebst und arbeitest festmachen?

Der Hauptunterschied zwischen jeder Stadt, jedem Land, jeder Kultur ist Cash. Je mehr Geld es von der öffentlichen Hand und von privater Seite gibt, desto mehr Unterteilungen gibt es. Wenn du dich in einer Szene bewegst, wo es wenig bis gar kein Geld gibt, dann wirst du auf Basis deiner Kunst beurteilst. Wenn es hingegen viel Geld gibt, wirst du danach beurteilt wie viel Lobbyarbeit du machst.

Wenn du jetzt London oder New York hernimmst – dort reden und spielen die Leute miteinander, weil sie alle ähnliche Probleme haben und in beinahe den selben Clubs auftreten. Da geht es um einen täglichen menschlichen Austausch und um Solidarität. Aber wenn es öffentliche Gelder gibt es plötzlich ein Rennen darum, wer am meisten davon aufstellen kann. Und im Endeffekt hassen sich alle, weil der eine mehr und der andere weniger zusammengekriegt hat. Die Leute vergeuden ihre Zeit mit der Jagd nach Subventionen. Und haben sie welche ergattert, bauen sie sich sofort eine Burg, damit nur ja niemand ebenfalls ein paar Peanuts und etwas Kohle kriegen kann. In Österreich gibt es ja diese Tradition einer massiven aristokratischen Finanzierung der Kunst. Auch um die Leute still zu stellen. Weshalb es hier ja auch nie eine Revolution gegeben hat.

Und hier wird Kultur zu Politik. Aber ich glaube in jedem reichen Land der Welt gibt es einige obskure, gut organisierte Proto-Künstler von famoser lokaler Berühmtheit, die jedoch anderswo total unbekannt sind. Nur kommt mir diese Situation in Österreich auf Grund verschiedener kultureller, historischer und politischer Gründe um einiges extremer als sonst wo vor.

Mit der “Szene” hier habe ich jedoch so gut wie keine Beziehung. Ich kenne zwar ein paar Leute, aber die meisten kannte ich eher schon, bevor ich nach Wien kam. Als ich nach Wien kam, hatte ich zuerst den Eindruck, dass die erste Reaktion auf mich darin bestand, einfach die Türen zu verschließen und hinter verschlossenen Fenstern zuerst mal diesen “Fremden” zu beobachten. Das Problem hier ist ein internes. Es liegt in den Leuten, ihrem Verhältnis zum Land, zu seiner Geschichte. Da gibt es eigentlich fast kein Außen. Deshalb tut man sich hier auch so schwer mit Fremden, mit Anderen zu reden. Ich rede hier eigentlich mit sehr wenig Menschen. Ich tausche mich fast nicht auf einer regulären Basis aus. Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass ich immer noch nicht die Landessprache spreche. Es gibt keinen Grund sie zu lernen. Ich glaube, um als hier Künstler mental und moralisch zu überleben, musst du das alles so schnell wie nur möglich hinter dir lassen. Aber das gilt wahrscheinlich auch für jedes andere Land.

Wie stehst du zu subventionierter Kunst? Ist das eine Verpflichtung des Staates oder eine ökonomische Regulierung kritischer Potentiale zum Wohle der “Cultural Industries”?

Es geht um Rollen-Modelle. Ich glaube, in unseren abendländischen  Kulturen gibt es hauptsächlich um kulturelle Role-Models von Menschen und Nationen. Also auch um die Mythen, die sich Nationen dadurch von sich selber machen. Was ich oft sehe, ist, dass das “der König, der Narr und sein Subjekt”-Modell immer noch sehr prominent ist.

Ich persönlich glaube, dass Künstler zu ihren Königen und Kirchen ein vielklareres Verhältnis hatten, als heutzutage. Du wusstest, was diese Institutionen wollten, aber daneben konntest du machen, was du wolltest. Vor allem ging es nicht darum, “was” du machst, sondern “wie” du etwas gemacht hast. Der Grund, warum ich radikal mit jeglicher staatlich subventionierten Kunst-Szene gebrochen habe, lag daran, dass ich nicht Abhängig sein wollte von deren Geld und deren vorgeschriebenen Programmen. Ich fühlte mich wie eine Marionette. Der Begriff “Kultur” in seinem künstlerischen Marketing-Verständnis ist einklar politisch definierter.

Kultur ist Politik, anderenfalls wäre Kultur Kunst. Kultur hat eine klare Funktion zu erfüllen. Und genau in diesem Sinne wird ja auch mittlerweile der Begriff “Künstler”instrumentalisiert. Was bedeutet es denn, in der gängigen politischen Sprachregelung ein Künstler zu ein? Es ist nur ein Job. D.h., wir reden hier über Bezahlungen, Anstellungen und den Markt. Der Markt und die Politik konzentrieren sich in Österreich sehr stark auf die künstlerischen Traditionen des Landes. Warum gibt es denn soviel Geld dafür? Wegen dem Tourismus! Wenn Tourismus der Schlüssel zu allem ist,dann kannst du davon ausgehen, dass jegliche staatlich hervorgerufene Kunst nur mild, abgesichert und inhaltsleer sein kann.

Ich glaube ja auch nicht, dass es all diese chicen, mit Gold überladenen dekorativen Kunstformen in Österreich deshalb gibt, weil es hier eine spezielle Dandy-Tradition gibt. Ich glaube eher, dass zeigt einen Mangel an einer Kultur von Rede und Frage. Na ja, was dann bleibt ist halt das Dekorative – egal ob jetzt gegenständlich oder abstrakt. Gerade die Politik liebt ja dekorative Kunst. So ein Nitsch schaut ja auch toll aus in einem Konferenzraum oder einem Parteibüro. Gerade diese ganzen abstrakten Kunstwerke sind ja totale Sicherheitszonen – sehr praktisch, aber ohne jeglichen subversiven Gehalt. Eine Frage, die ich mir selber immer gerne stelle: Wie viele “Künstler” würden denn übrig bleiben, wenn es drei Jahre lang weder staatliche noch private Subventionen geben würde? Meine Antwort darauf: Genau so viele wie es auch “Kunst” in diesem Land gibt. Also ganz wenige, wie es in der Realität ja auch der Fall ist. Der Titel “Künstler” ist in solchen offiziellen Zusammenhängen nur ein netter Weg, Sachen auszuklammern.Warum nennt man solche Leute nicht gleich “Kultur-Agenten”? Man entgeht damit Kontroversen, ebnet Antagonismen ein und blendet die soziale Klassenrealität aus.

Kunst wird dabei zu so etwas wie Tofu wodu jede Geschmacksrichtung, die du gerade haben willst, einfach draufsprühst. Egal ob “Revolution”, “Bourgeoisie”, “Conformism”,”Abstraction”, “Progress”.

Welche Erfahrungen hast du als “Fremder” mit dem Leben in Österreich gemacht?

Tja, auf der Landkarte schaut es im Grunde gut aus. München ist nach und auch Warschau. Aber “ein Fremder” werde ich hier immer bleiben. Ich habe ja in Frankreich viel Thomas Bernhard gelesen und dachte dabei immer, er übertreibt die reale Situation maßlos. Aber seitdem ich hier lebe, kann ich ihn nicht mehr lesen, weil ich jetzt glaube, dass er eher untertrieben hat. Warum auch immer, aber hier gibt es eine sehr depressive und sehr reaktive Szene. Leute, die sich selber ins Knie schießen und dann daran leiden. Deshalb gehe ich in Wien auch so wenig fort. Ich bin eher glücklich beim Spazieren gehen, oder wenn ich an Orte gehe, wo sonst niemand hingeht.

Aber ich genieße schon gewisse Sachen in der Stadt. Es gibt keine Eile, man kann sich Zeit nehmen, in Ruhe und Muse in einem Cafe ein Buch lesen. Aber an eine Karriere in Österreich ist nicht zu denken. Da ist es einfach damit einfach abzuschließen. Um es klar zu sagen: Das einzige was ich hier wirklich mache, dreht sich einzig und allein um “skug”. Punkt! Nichts sonst. Manchmal reden mich schon nette Leute an, und dann passiert schon auch mal was anderes. Aber das passiert höchstens einmal pro Jahr.

Fremd bin ich aber auch in Paris, oder anderswo. Ich will nie und nimmer ein “Local” sein. Das kann ich einfach nicht. Das nimmt auch zu viel Zeit in Anspruch. Und ich denke auch nicht in solch einer Kategorie.

Interview: Didi Neidhart

Foto Credits: Magdalena Blaszczuk

 

Noël Akchoté