mica-Interview Cracked Anegg Records

Seit einigen Jahren bietet das Label Cracked Anegg nun bereits zahlreichen Künstlern, die sich in der großräumigen Peripherie des Jazz tummeln, eine Veröffentlichungsplattform, sowie, beispielsweise Mitte Juli im Rahmen des Jazz Fest Wien, Auftrittsmöglichkeiten. Im mica-Interview mit Michael Masen stellen Sharon Anegg und Oliver Steger das Label vor.  

Wie lange gibt es das Label Cracked Anegg jetzt bereits?
Sharon Anegg:
Gegründet wurde das Label 2001, aber so richtig als Firma und mit regelmäßigen Veröffentlichungen machen wir es jetzt seit 2004.

Wie ist die Idee entstanden, Cracked Anegg zu gründen?
Sharon Anegg: Ich habe ganz einfach für die Veröffentlichung der ersten CD der Band, bei der ich früher Sängerin war, ein Label gebraucht und so habe ich kurzerhand einfach mein eigenes gegründet. Irgendwann ist der Oliver dann einmal an mich heran getreten und hat mich gefragt, ob man für diverse Projekte nicht mein Label verwenden könnte. Und so ist die ganze Idee dann eigentlich entstanden.

War die Labelgründung notwendig, weil ihr kein anderes gefunden habt, oder war von vornherein klar, dass das Album auf deinem eigenen Label erscheinen soll?
Sharon Anegg: Ursprünglich hätte es eine Co-Produktion mit dem ORF werden sollen. Das hat sich dann aber zeitlich so verschoben, dass nicht ganz geklärt werden konnte, wer sich nun um die Rechte kümmern sollte. Dann waren die Aufnahmen aber schon fertig und es hat einfach alles nicht so funktioniert, wie wir uns das vorgestellt hatten und so haben wir beschlossen, es in Eigeninitiative durchzuziehen.

Bei euch erscheinen ja relativ viele Sachen. Wie sieht es da hinsichtlich etwaiger Genre-Eingrenzungen aus? Seid ihr auf eine Richtung spezialisiert, oder kann jeder zu euch kommen?
Oliver Steger: Prinzipiell haben wir ein ziemlich breit gefächertes Spektrum. Wir haben beispielsweise eine Hip Hop-Platte gemacht, oder auch relativ viele Instrumental-Jazz-Sachen mit Schwerpunkt Klavier und dann haben wir auch noch sehr viele Sängerinnen. Aber es ist dann doch ein Groove/Nu-Jazz-Schwerpunkt bei Cracked Anegg auszumachen.

Ich würde einmal sagen, alles, was so im Dunstkreis von Jazz entsteht, ist bei uns willkommen. Obwohl nicht einmal diese Einschränkung so wirklich passend ist. Neben der vorher schon angesprochenen Hip Hop-Platte ist jetzt, unsere letzte Produktion, eine wirklich astreine Elektropop-Geschichte, die total FM4-tauglich ist, erschienen. Es hängt eben auch viel von den beteiligten Musikern ab, die man vielleicht kennt oder auch sonst irgendwie einen Bezug zu ihnen hat.

Gibt es irgendetwas, wo ihr, ohne die Musik überhaupt gehört zu haben, sagen würdet, dass ihr das komplett ausschließen würdet?
Oliver Steger: Ja, natürlich gibt es auch Musikstile, die absolut nicht in unser Label-Profil passen – Musikantenstadl-mäßiges Zeug beispielsweise, oder Klassische Musik. Aber so wirklich kategorisch ausschließen kann man dann auch wieder nichts, weil dann doch immer mal wieder wirklich witzige Sachen kommen, die einfach total passen oder auch irgendwelche Anregungen liefern.

Sharon Anegg: Generell muss ich sagen, es muss uns allen taugen. Wir sind ja mehr Leute beim Label und das heißt, es wird kollektiv entschieden, was gemacht wird. Da ist auch immer ein menschlicher Faktor dabei, das heißt, dass man mit den Leuten, die die Musik machen, auch auf einer Wellenlänge liegen muss. Das ist schon auch ein wichtiges Auswahlkritierium. Und dann spielt natürlich auch eine Rolle, inwieweit wir für das jeweilige Album eine Möglichkeit sehen, es zu vermarkten. Es gibt wahnsinnig viel gute Musik, aber wenn man dann ein derartiges Nischenprodukt hat, von dem man vielleicht 20 Stück verkaufen kann, dann bringt es das einfach nicht.

Wie werden dann konträre Meinungen bezüglich Veröffentlichungswürdigkeit intern entschieden?
Sharon Anegg: Die Mehrheit entscheidet. Das ist bei uns relativ einfach, weil wir fünf Leute sind und somit immer zu einem eindeutigen Ergebnis gelangen. Aber es ist auch so, dass, wenn jetzt nur einer der Meinung ist, dass wir eine bestimmte Band raus bringen müssen und dafür wirklich gute und nachvollziehbare Argumente anführt, die die anderen überzeugen, dann machen wir das natürlich.

In welcher Größenordnung, in welchen Dimensionen muss man sich Cracked Anegg vorstellen? Ist das Label, zumindest für einige von euch, ein Fulltime-Job, oder betreibt ihr es so nebenbei?
Sharon Anegg: Ich muss sagen, theoretisch wäre es in Fulltime Job, aber dadurch, dass es finanziell noch nicht möglich ist, dass irgendjemand davon leben kann, wird es nebenberuflich gemacht. Man muss dafür allerdings schon den Großteil seiner Freizeit investieren.

Was motiviert euch, dabei zu bleiben, weiter zu machen, wenn finanziell nichts dabei heraus schaut, ihr aber so viel Zeit aufbringen müsst?
Oliver Steger: Das ist eine gute Frage, die ich mir auch schon lange stelle. Nein, im Prinzip ist es einfach eine Herzensangelegenheit für mich persönlich, wo ich auch gar nicht damit rechne, dass es in den nächsten Jahren für mich etwas abwirft. Aber es ist etwas, worauf ich wirklich stolz bin und wo ich sehe, dass viele irrsinnig schöne Sachen passieren, die Musikern eine Perspektive bieten, oder die Szene unterstützt wird – das taugt mir einfach.

Hat es zwischenzeitlich auch schon mal die Situation gegeben, wo ihr kurz davor wart, alles hinzuschmeißen und einfach aufzuhören?
Sharon Anegg:
Klar gibt es das immer wieder. Wenn man arbeitet bis drei Uhr Früh und dann wieder um acht aufstehen muss und das tagelang, dann ist es irgendwann so. Vor allem, wenn dann noch irgendetwas schief läuft, die Verkaufszahlen in einem Quartal wider Erwarten nicht gut sind, man sich von einem Album etwas ganz Anderes erwartet, oder die Medien überhaupt nicht mitziehen und es ignorieren. Dann ist es schon so, dass man sich fragt, wozu das Ganze überhaupt.

Aber man motiviert sich andererseits auch wieder von Release zu Release. Wir machen ja doch relativ viel und an jedem Album hängt doch auch der Glaube daran, dass das jetzt etwas Großes werden und auf jeden Fall aufgehen wird. Und dann gibt es ja auch immer wieder schöne Konzerte und Erlebnisse, wo sich ein Album wirklich auch mal eine Zeit lang gut verkauft. Das motiviert dann schon sehr.

 

 

Neben der Label-Tätigkeit übernehmt ihr ja auch, wie ich gelesen habe, Distributions-Aufgaben und zwar, nicht nur für eure eigenen Releases, sondern auch für labelfremde Künstler. Inwiefern wird dieses Angebot auch genutzt?
Sharon Anegg: Man muss generell unterscheiden – Wir kriegen des Öfteren Anfragen, á la “wir haben jetzt die CD fertig und würden sie gerne bei euch vertreiben”; da muss ich sagen, dass es so nicht funktioniert. Für die einzelnen Geschäfte haben wir selbst auch Distributionspartner. Zusätzlich betreiben wir aber seit 2006 einen Online-Store, den wir mit Hilfe der Departure-Förderung ins Leben gerufen haben, den Crack Shop, der Downloadmöglichkeiten bietet.

In diesen Shop können auch alle anderen ihre CDs einstellen, um Downloads zu verkaufen. Das wird von uns auf Kommissionsbasis übernommen, praktisch weltweit verkauft und halbjährlich abgerechnet. Das machen wir sehr wohl auch für labelfremde Künstler, aber ich kann jetzt nicht jemandem sagen, dass wir ihn beim Saturn, Red Octopus, oder sonst wo verkaufen. Dafür braucht er einen richtigen Vertriebspartner – für Cracked Anegg übernimmt diese Aufgaben Lotus Records.

Eure Releases bietet ihr ja zum einen über den gerade angesprochenen Online-Shop an, zum anderen aber auch auf CD. Wie sieht das Verhältnis der Absätze dieser beiden Medien zueinander aus? Werden mehr CDs oder mehr Downloads nachgefragt?
Sharon Anegg:
Bei uns, also im Jazz-Bereich, ist auf jeden Fall der Anteil an CD-Verkäufen wesentlich höher als der Absatz im Download-Sektor. Wir haben aber auch, wir sind ja mit allen unseren Alben, mit quasi weltweitem Vertrieb, in den iTunes-Stores vertreten, in diesem Bereich ganz schöne Umsätze – vor allem in Amerika und Japan. Das ist aber vor allem darauf zurück zu führen, dass der Transport physischer Tonträger mit zu hohen Kosten verbunden wäre. Aber die Verkäufe hier und im näheren Umfeld, wie beispielsweise Deutschland oder Osteuropa, laufen größtenteils eher über CDs.

Ausschließlich auf ein Medium zu setzen, kommt für euch also momentan überhaupt nicht in Frage.
Sharon Anegg:
Jein, sage ich jetzt einmal. Das ist nichts, was ich ausschließen möchte. Ich würde es aber auf keinen Fall nur auf CD und komplett ohne Downloadmöglichkeit machen – das finde ich in der heutigen Zeit schwachsinnig. Wir haben sehr wohl schon überlegt, jetzt wirklich nur Digital-Releases zu machen, was aber schon alleine am Einverständnis der Künstler scheitert, weil die meistens doch lieber eine CD, ein physisches Produkt, haben möchten.

Oliver Steger: Es ist ganz einfach so, dass viele unserer Einkünfte über den Live-Verkauf passieren, weil wir mit vielen Bands arbeiten, die live sehr aktiv sind und somit würden wir uns mit ausschließlichen Digital-Releases auch ins eigene Fleisch schneiden. Überlegt haben wir zwar, ausschließlich digitale Veröffentlichungen anzubieten, aber im Moment funktioniert die Live-Schiene viel zu gut, als dass diese Überlegungen sinnvoll umzusetzen wären.

Welche Releases stehen bei Cracked Anegg in näherer Zukunft an?
Oliver Steger: In Kooperation mit Handsemmel Records wird Ende Juli ein Album mit Ken Vandermark, Max Nagl, Wolfgang Reisinger und Thomas Clayton erscheinen. Labeleigen haben wir dann noch Lorelei Lee, die Ende Mai erscheint und im August dann Johannes Berauers Tiny Orchestra. Für Herbst sind noch zwei andere Sachen in Planung, aber die sind noch nicht wirklich fixiert.

Gibt es irgendwelche Künstler, mit denen ihr unbedingt einmal etwas machen möchtet? Also Künstler jetzt, die für euer Label realistisch machbar wären.
Oliver Steger: Realistisch ist es so, dass wir jede Menge super Typen haben, die etwas mit uns machen und auch immer wieder neue nachkommen. Da brauchen wir uns wirklich ein keiner Weise beklagen. Ich bin sowieso nicht der Typ, der gerne irgendwelche Stars haben möchte. Mir taugt einfach Musik, die auch eine wirkliche Aussage hat und das finde ich bei allen möglichen Leuten hier in Österreich, ganz egal, in welcher Sparte die jetzt zu Hause sind. Persönlich würde ich ja gerne einmal mit Joe Henry arbeiten, aber das wird es wohl nicht spielen..

Demnächst steht ja auch eine Cracked Anegg Labelnight auf dem Programm. Könnt ihr darüber schon Näheres erzählen?
Sharon Anegg: Die Labelnight findet am 13. Juli statt und auftreten werden das Herwig Gradischnig Ghost Trio, Angela Tröndle & Mosaik, Drechsler und Car Radio Band. Vier Bands an einem Abend, bei freiem Eintritt im Arkadenhof. Das ist schon sehr gut für uns und wir glauben, dadurch auch sehr viel Öffentlichkeit zu bekommen.

Weiters spielt eine Band unseres Labels, Odessa, die ich persönlich auch sehr mag, am 10. Juli im BA CA Forum – ebenfalls im Rahmen des Jazz Fests Wien, wo am 8. Juli auch noch das C.O.D.E.-Projekt von Ken Vandermark, das wir gemeinsam mit Handsemmel Records machen, live präsentiert wird. “C.O.D.E.” deshalb, weil es dabei um Musik von Eric Dolphy und Ornette Coleman geht, deren Initialen den Projektnamen liefern. Wir haben also relativ viele unserer Artists beim Jazz-Fest untergebracht, was wirklich eine sehr tolle Sache ist.

 

 

Wenn das dann gut läuft, kann man so Label-Packages dann von euch öfter erwarten?
Sharon Anegg: Label Nights, diese hier ist jetzt die dritte, haben wir bereits vorher schon gemacht. Eine ganz am Anfang, kurz nach Label-Gründung und dann vor zwei Jahren als Benefinz-Geschichte für den Entwicklungshilfe-Club im Club OST. Das war dann auch ein sehr schöner und abwechslungsreicher Abend.

Wir haben bei Cracked Anegg ja ein sehr breites musikalisches Spektrum anzubieten, aber sehr viele Leute gehen immer nur zu denselben Bands, die sie halt schon kennen. Da ist so eine Labelnight eine sehr gute Gelegenheit, neue Bands kennen zu lernen, die man sich sonst wohl nie angesehen hätte. Und dann ist es auch total wichtig, dass auch die Musiker sich untereinander kennen lernen, sofern sie nicht ohnehin schon aus der Szene miteinander bekannt sind, was aber auch nicht immer automatisch der Fall ist.

Wie seid ihr mit der derzeitigen Situation bezüglich Auftrittsmöglichkeiten zufrieden? Finden eure Bands genügend Plattformen, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren, oder besteht irgendwo Verbesserungsbedarf?
Oliver Steger: Das ist eine schwierige Frage. Es gibt generell immer zu wenig – natürlich. Wobei, ich finde, dass wir uns in Österreich schon in einem Land befinden, wo es gute Möglichkeiten gibt, dass man als arbeitender Musiker auch überleben kann. Ich habe die letzten Jahre mit Bands verbracht, wo ich mir selber auch Auftrittsmöglichkeiten organisiert habe – man versucht eben immer irgendwie neue Sachen zu finden und auf Leute zuzugehen.

Mit Café Drechsler haben wir das oft so gemacht, dass wir beispielsweise mal in der U-Bahn gespielt haben, irgendwo auf der Gasse, oder auch mal in irgendeinem Kaffeehaus, wo uns niemand erwartet hätte. Das ist einfach total spannend, die Leute überraschend mit einer Performance oder einem Konzept zu konfrontieren.

Gibt es etwas, das euch an der Kommunikation Labelmacher – Musiker stört, irgendetwas das ihr gerne verbessern möchtet?
Oliver Steger:
Was mir seitens A & R-Tätigkeit immer wieder auffällt, ist, dass Musiker mit fertigen Produkten zu uns kommen. Das ist insofern wirklich mühsam, weil man ja selbst auch an der jeweiligen Produktion mitarbeiten will. Und wenn wir an den Prozessen beteiligt sind, schon bevor sie mit dem Projekt ins Studio gehen, so kann man sich gegenseitig verschiedene Möglichkeiten aufzeigen, die einer Seite alleine nicht in den Sinn gekommen wären.

Sharon Anegg: Ja, das sehe ich genauso. Die Musiker kommen und sagen, dass sie alles gerne in zwei Monaten fertig hätten, wobei das dann oft nicht in den Release-Plan hinein passt und wir das schon gerne vorher mit ihnen besprochen hätten.

Inwieweit würdet ihr in den künstlerischen Schaffensprozess eingreifen? Dahingehend, dass ihr darauf besteht, eine CD nur raus zu bringen, wenn die Band beispielsweise die letzten beiden Stücke weg lässt, die eurer Meinung nach unverkäuflich sind.
Oliver Steger: Nein, es ist sicherlich nicht so, dass man jetzt radikal einschreitet und versucht, irgendjemandem seine Aussage zu nehmen. Im Gegenteil, es wird, wenn, dann überhaupt so sein, dass die Aussage noch bekräftigt wird. Und das kann insofern ein Eingreifen sinnvoll machen, weil man vielleicht Erfahrungen einbringen kann, die ansonsten nie auf den Tisch gekommen wären – aber das ist nicht im negativen Sinn gemeint.

Sharon Anegg: Es kann immer sein, dass wir sagen, eine Nummer passt nicht. Aber wenn wir das auch nachvollziehbar argumentieren und den Künstler überzeugen können, dann passt das schon. Wir gehen aber sicher nicht her und sagen, dass wir die CD nur veröffentlichen, wenn sie so oder so ist. Wir stellen niemandem ein Ultimatum – eine Meinung von außen hingegen kann oftmals aber doch ganz hilfreich sein.

Danke fürs Interview.

 

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