Ein Plädoyer für den Ausbau feministischer Netzwerke innerhalb der Popkultur (und anderswo)
“Don’t be in love with the guitarist – be the guitarist!” Eigentlich sollte die Notwendigkeit, innerhalb unterschiedlicher popkultureller Felder feministische Netzwerke zu schaffen bzw. auszubauen1 , keinerlei Erklärung bedürfen. Doch ist die Seperatismus-Keule schnell geschwungen. Gute Musik kennt doch kein Geschlecht, oder? Dazu eine der Organisatorinnen des Ladyfest London 2002: “(…) it seems a bit sad, a bit defeatin’, that in 2002 we still need to make the distinction. But that’s why we still need a Ladyfest, because all the other music festivals out there are, essentially, Boyfest.” Von Sushila Mesquita.
E-Gitarre statt Blockflöte
(Heterosexuelle) Männlichkeit als Allgemeinheit stellt auch im Bereich der (Indie-)Rock Musik immer noch weitgehend eine Art “Selbstverständlichkeit” dar – wenn diese Tatsache jedoch thematisiert wird, fühlt mann (und auch so manche Frau) sich schnell auf den Schlips getreten. Es stimmt, das Geschlecht sollte – etwa bei der Rezeption von Musik – keine Rolle spielen. Doch trotz des nicht von der Hand zu weisenden Ungleichgewichts machen sich wenige die Mühe danach zu fragen, wie es denn zum Beispiel kommt, dass der prozentuelle Anteil der Frauen auf Festivalbühnen wie dem Nova Rock oder Frequency Festival gegen Null geht. Weitaus bequemer ist es da schon, diese Tatsache einfach hinzunehmen und sie als vermeintlich individuelle Entscheidung abzutun, anstatt sich den zahlreichen strukturellen Gründen zuzuwenden.Offenkundige, wenn auch kaum beachtete Ursachen für den “gender gap” wären dabei eigentlich schnell gefunden: Das fängt bei der Blockflöte an, die den musikalischen Werdegang vieler Mädchen eröffnet und oftmals sogleich wieder beschließt – kaum eine wird aktiv dazu ermutigt, sich den “lauteren” Instrumenten zuzuwenden – und endet nicht zuletzt bei der Tatsache, dass Musikredaktionen und -geschäfte, Plattenläden, Clubs, Studios usw. immer noch in Männerhand, Konzertveranstalterinnen oder Tontechnikerinnen eine exotische Seltenheit sind. Insofern gibt es tatsächlich einen erheblichen Unterschied zwischen den Geschlechtern, der die Eigen- und die Fremdwahrnehmung von Frauen und Männern in der Musik mitbestimmt.
Ausnahmen gibt es natürlich, und es geht im Rahmen feministischer Netzwerkbildung auch nicht darum, sich selbst als Opfer zu beweinen oder lediglich den Rückzug in eine Nische oder Schublade wie “Frauenmusik” voranzutreiben. Vielmehr gilt es, einerseits kritisch auf die zum Teil sehr exklusiven Zugangsbegrenzungen aufmerksam zu machen und strukturelle – nicht nur genderspezifische – Ausschlussmechanismen im Bereich der Popkultur sichtbar zu machen. Zum anderen geht es um die lustvolle Verknüpfung von Politik und Pop, um Feiern, um Inspiration und self-empowerment und vor allem um den Ausbau aktiver autonomer und alternativer Netzwerke und Räume. Mit der ständig wachsenden Anzahl von Ladyfesten hat sich eine äußerst produktive Organisationsform herauskristallisiert, die die feministische Netzwerkbildung weit über lokale Kontexte hinaus nachhaltig verstärkt hat. Aber zuerst einmal zurück zu den Anfängen.
Herstory of Ladyfest – Some Grrrls are Ladies
Ich bin eine der glücklichen Veteraninnen. Im Jahr 2000, als das erste Ladyfest, ein von Frauen und transgender-Personen für alle Interessierten organisiertes non-profit Festival, in Olympia/Washington über die Bühnen ging, war ich dabei. Eine (leider viel zu kurze) Woche lang durfte ich Zeugin davon sein, wie eine Horde von musikbegeisterten FeministInnen das verschlafene Nest Olympia im Nordwesten der USA unsicher machte. Den Geburtsort des Grunge und, noch viel wichtiger, der Riot Grrrl Bewegung2. Aber seit der “Geburt” waren damals ja schon 10 Jahre verstrichen gewesen und inzwischen hatte sich viel getan: Während Grunge den Aufstieg in die Hitparaden geschafft und der Kommerzialisierung anheim gefallen war, wurden die feministischen Inhalte der Riot Grrrl Bewegung so lange durch den medialen Fleischwolf gedreht, bis aus den sich lautstark gegen sexistische und homophobe Unterdrückung – in der (US-amerikanischen) Gesellschaft im Allgemeinen und in der Musikszene im Speziellen – wehrenden Grrrls die niedlichen Girlies wurden. Riot Grrrl Netzwerke existierten natürlich weiterhin, wenn auch verstreut und nicht ohne eine gehörige Portion Frust ob der weltweiten medialen Präsenz von Girl Power! als unpolitischem Modediktat, die die Bewegung nachhaltig lähmte.
Längst fällig war also die Neuformierung samt Rückblick und Bestandsaufnahme – doch nun nicht mehr als Grrrls – immerhin waren inzwischen 10 Jahre vergangen – sondern als Ladies. So machte sich eine Gruppe von Frauen, die meisten davon waren maßgeblich an der Entstehung der Riot Grrrl Bewegung beteiligt gewesen, daran, ein Festival auf die Beine zu stellen, das dazu dienen sollte, die künstlerische, organisatorische und politische Arbeit von Frauen hervorzuheben, zu feiern und zu fördern. Das Vorhaben ging voll auf: Es wurden nicht nur alte Bindungen wiederhergestellt sondern neue geschaffen – die Organisatorinnen von Olympia haben eine Lawine ins Rollen gebracht: In den letzten Jahren haben weltweit über 100 Ladyfeste stattgefunden. Im Mai 2007 findet in Wien bereits das dritte dieser Art statt.
Do it yourself!
Bei Ladyfesten fungiert DIY (do it yourself) gleich auf mehreren Ebenen als zentrales Prinzip. Zum einen kommt es in der Schaffung, Nutzung und Stärkung alternativer Strukturen jenseits kapitalistischer Verwertungsmaschinerien zum Ausdruck. Dies wird allerdings zumeist nur durch die scheinbar unumgängliche Selbstausbeutung in Form unbezahlter Arbeit – sowohl von Seiten der Organisierenden als auch der Auftretenden – möglich, die sich dafür beispielsweise in den geringen Eintrittspreisen und damit auch in einem breiten Zugang widerspiegelt. Zum anderen äußert sich das Prinzip im Aufruf, die Idee einfach selbst aufzugreifen und in die eigene Stadt mitzunehmen. Ladyfest ist keine Corporate Identity und auch kein Label, auf das irgendjemand Anspruch erhebt. Es ist eher eine Tradition, auf die sich berufen kann, wer will und die dazu dient, dass einerseits nicht jede Organisationsgruppe das Rad neu erfinden muss und dass die Verbreitung des Namens andererseits schon im Vorfeld für werbende Wirkung sorgt. In diesem Sinne gibt es große lokale Unterschiede bei der Ausgestaltung des jeweiligen Festival-Programms, das in der Regel Workshops, Open Stages, Konzerte, Diskussionen, Filmvorführungen, Ausstellungen und dergleichen beinhalten. Die Kritik an kapitalistischen Verhältnissen, Geschlechterhierarchien, Heteronormativität und Rassismus kristallisiert sich jedoch als kleinster gemeinsamer Nenner aller Ladyfeste heraus, in deren Mittelpunkt die politischen, sozialen und kulturellen Anliegen und Produkte von “Ladies of all genders”3 stehen.
Eine weitere Ebene, auf der das DIY-Prinzip zum Tragen kommt, ist der Versuch, Hierarchien zwischen Publikum, Organisierenden und KünstlerInnen aufzuheben. Denn neben der Ermutigung, selbst in all diesen Bereichen tätig zu werden, ist die aktive Beteiligung aller beim Austausch von Erfahrungen und Wissen gefordert und macht damit jede Lady zur Expertin und Akteurin beim Versuch, gemeinsam die strukturellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Frauen auf der Bühne, im Publikum, im Plattenladen oder Studio letztendlich mit der gleichen Selbstverständlichkeit und Anerkennung agieren können wie Männer.
Buchtipps:
– Baldauf, Anette/ Weingartner, Katharina (Hginnen.): Lips. Tits. Hits. Power? Popkultur und Feminismus. Wien/Bozen 1998
– Bierbaum, Anja/ Kailer Katja: Girlism. Feminismus zwischen Subversion und Ausverkauf. Berlin 2002
Links:
Netzwerke:
www.ladyfest.org
http://www.femalepressure.net/fempress.html
http://www.junglistic-sistaz.com/
Fanzines:
www.grrrlzines.net
Ausstellung:
DIY – Wir machen es uns selbst!
Feministische Strategien in DIY-Kultur
10.5. – 8.6.2007
Galerie IG BILDENDE KUNST
Gumpendorfer Straße 10-12
A-1060 Wien
http://www.igbildendekunst.at/
1 Derartige Netzwerke existieren beispielsweise im Feld elektronischer Musik bzw. DJ-Kultur (female:pressure) und drum&bass (Junglistic Sistaz). Dieser Artikel widmet sich jedoch in erster Linie dem Phänomen Ladyfest, das sich zwar nicht unbedingt auf eine bestimmte Musikrichtung festlegen lässt und auch nicht auf Musik beschränkt ist, seine Wurzeln jedoch in der US-amerikanischen Punk und Hardcore Tradition hat. In diesem Sinne konzentriere ich mich hauptsächlich auf den Bereich der “Rock Musik”.
2 Das Aufkommen von zahlreichen feministischen Bands (wie Bikini Kill, Bratmobile u.v.m.), Plattenlabels, Fanzines und sog. Riot Grrrl Chapters markierte anfangs der 1990er Jahre den Beginn der Riot Grrrl Bewegung.
3 Die Bezeichnung “Lady” beschränkt sich nicht auf Frauen im biologischen Sinne. Vielmehr soll sie für eine Position stehen, der Respekt entgegengebracht wird. In diesem Sinne lautete das Motto des Ladyfest Hamburg 2003: “Whatever gender you may be – if you feel like a lady be a part of Ladyfest.”